Ausgewogene Lernstrukturen

Nach meinem letzten Blogartikel bin ich von zwei Lehrpersonen kontaktiert worden, die mich gebeten haben, etwas über wichtige Eckpunkte im Unterrichtsgeschehen zu berichten.
Ich denke, dass Kinder Strukturen brauchen. Rituale, Regeln, Wiederholungen all diese Dinge geben Sicherheit. Und gerade in einer Zeit, wo Gewohnheiten mit aller Kraft über Bord geworfen werden, brauchen wir alle Fixpunkte, Dinge, die immer gleich laufen.
Wo schon wir Erwachsenen Mühe haben mit all diesen Verordnungen, den Verboten, Freunde zu treffen und mit den Grosseltern Geburtstag zu feiern, ist es für junge Seelen umso wichtiger, einen Platz zu haben, wo das Leben in einigermassen vertrauten Bahnen weitergeführt wird. Dieser Ort ist das Klassenzimmer, zu dessen Wichtigkeit ich letzte Woche einen Blog geschrieben habe.
Aber hier nun zu den Fixpunkten im Klassenzimmer:

Ausgewogenen Strukturen der Lernformen

So wichtig wie ich einen differenzierten, individuallisierenden Unterricht finde, so wichtig scheinen mir ebenfalls gemeinsame sich wiederholende Aktivitäten.
Einige Beispiele habe ich hier zusammengetragen, sie sind bei Weitem nicht vollständig, aber sie sollen einen Einblick geben, was ich mit diesen ausgewogenen Strukturen meine:

Kalender

Tag, Monat, Jahreslauf verfolgen. Übers Wetter und wichtige Ereignisse sprechen, Jahres- und Geburtstage feiern oder erwähnen. In vielen Schulzimmern hängen dazu modulare Kärtchen, wie z.B. bei diesen Tafelkalendern.

Dingen Aufmerksamkeit schenken

Es ist wichtig, dass es Zeitfenster gibt, in denen sich SuS über Lieblings-Dinge, Name ihrer Haustiere, Freunde, Eltern oder ihrer Lieblings-Sendung äussern können. Mit Fokus auf eine lernende Gemeinschaft, die eine Klasse ja sein sollte, lohnt es sich bei Diskussionen Aufmerksamkeit auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu lenken: Sind heute mehr Mädchen oder Jungen da? Wie viele haben Schuhe mit Bändel, wie viele Klettverschlüsse, welche Slipper? Gemeinsamkeiten wirken verbindend, Unterschiede sollen nicht trennen sondern Interesse am anderen wecken. In diesem Bereich tragen wir Lehrpersonen Verantwortung und sollten sie auch wahrnehmen.

Musik

Liedtexte auf ein Plakat schreiben und mitzeigen, wenn gesungen wird. Dieses Vorgehen hilft den Kindern, zu verstehen, dass Lesen eigentlich bloss geschriebene Worte sind, wie wenn sie gesprochen oder gesagt würden. Wer schon liest oder auf dem Weg dazu ist, kann während des Singens versuchen mitzulesen. Professioneller kommt das ganze daher, wenn wir Lieder auf Plattformen wie youtube im Karaoke Modus über den Beamer abspielen können. Allerdings finde ich persönlich die Plakat- Version symapthischer, weil weniger perfekt. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass wir manchmal auch aufpassen müssen, dass unsere Perfomance nicht zu perfekt und damit unnahbar hinüber kommt. Diverse Computer-Programme ermöglichen es uns, perfekte Vorlagen herzustellen- aber welche Gefühle weckt das in den Kindern? Setzen wir ihnen einen Anreiz, es genau so schön machen zu wollen (von Hand!) oder lösen wir das entmutigende Gefühl „das kann ich nie so schön“ aus?  Vielleicht bräuchte es da auch von uns den Mut zum „Imperfektionismus“?

Brainstormings

Sie stimulieren die Kreativität und das divergente Denken. Eine „Start-Ideen“ dazu:

  • Gelbe (Grüne, violette, rote) Dinge, die man im Gemüseladen bekommt.
  • Möglichkeiten jemandem zu zeigen, dass man ihn mag
  • Dinge, die man mit Wasser tun kann
  • Verschieden Arten von Hüten
  • Möglichkeiten schwere Dinge zu heben
  • Möglichkeiten, Energie zu sparen
  • Alternativen zu Fernseh-Konsum

Mit einer meiner Fördergruppen habe ich ein Jahr lang immer zum Anfang ein Zeitfenster zum Bearbeiten solcher Kreativitätsbooster eingesetzt. Es war hoch spannend zu sehen, wie die SuS an „Flüssigkeit“ (damit ist die Fähigkeit unkonventionelle Ideen zu generieren) gewannen! Eine tolle Investition in die Zukunft- denn diese Kinder werden Probleme lösen müssen, welche die Generationen vor ihnen kreiert haben, Probleme, von denen wir schlauen Leute von heute vielleicht noch nicht mal wissen, dass es sie gibt. Und ich bin überzeugt, dass es da jede Menge von Kreativität brauchen wird.

Gemeinsame Gruppenzeiten

Den Kindern sollte regelmässig Zeit gegeben werden, Neuigkeiten und Informationen miteinander auszutauschen („Mein Bruder ist gefallen und hat sich das Bein gebrochen“ , „unsere Katze hat Junge gekriegt“).
Hier geht es wieder um dieses „Wir-Gefühl“, das in einer Klasse so wichtig ist und das in vielen Geschwisterbeziehungen durch veränderte Familienkonstellationen kaum mehr entstehen kann. Sich dazugehörig zu fühlen ist für die Persönlichkeitsentwicklung so wichtig!

Geschichten-Zeit

Geschichten, die einen Bezug zur Gruppensituation, zum Alter der Kinder haben. Rückfragen im Sinn von „hast du das auch schon gemacht?“, „Kennst du dieses Gefühl?“ stellen. Falls die Geschichte ein Muster hat, die Geschichte unterbrechen und fragen: „Was denkst du, wird als nächstes geschehen?“ Alles, was die Geschichte und das Vorlesen selber genussvoller macht, ist erlaubt: Background-Musik, Handpuppen, Bewegung…
Einige Bücher, die sich gut zum Vorlesen eignen, habe ich hier verlinkt. In Bälde kommt auch noch eine Liste mit Bilderbüchern dazu, die ich ebenfalls hier verlinken werde.

Themenzentrierte Aktivitäten

Manchmal ergeben sich Gruppenaktivitäten auch zu einem übergeordneten Thema, zum Beispiel „Muster“. Jahreszeiten, Wetter, Mathe, Geschichten, Buchstaben folgen ihnen- wo finden wir ihre Muster? In den letzten Wochen haben wir uns acht Doppelstunden diesem Thema gewidmet- es hätten noch viele mehr folgen können. Die Kinder liebten dieses Eintauchen in Strukturen und Formen und waren auf ihrem Niveau, ihren Fähigkeiten und Schwerpunkten entsprechend dabei. Das grösste Geschenk hat uns dabei Frau Holle gemacht: Das Mikroskopieren von Schneeflocken war grossartig!

Weitere spannende Themen könnten sein: Wechseln, Gemeinschaften, Feiern, Wachstum… Beim Einführen eines Themas wird durch die Vorgabe eines einzigen Wortes eine Komplexität generiert, in dem den Kindern eine Tür geöffnet wird. Ihr divergentes Denken, das Vernetzen, fordert ihre Kreativität heraus. So könnte z.B. das Thema Essen zu Armut oder Verpflegungsmöglichkeiten von Obdachlosen führen. Dies wiederum könnte zu wissenschaftlichen Erkenntnissen oder der Nahrungsmittelpyramide führen. Eine Diskussion über Wetter könnte zu Tornados, ihren Vorhersagen und ihren Auswirkungen führen… Das liebe ich an meinem Beruf, der wirklich Berufung ist: Eines folgt dem andern und verwebt sich zu einem grossen Ganzen. Was für ein Geschenk!

Und falls sich jetzt jemand fragt, wo denn da die Individualität bleibt, ist meine Antwort: Jedes Kind bring sich mit seinem Vorwissen da ein, wo es steht und entwickelt sich in den „Zonen des nächsten Entwicklungsschrittes weiter“, tauscht sich mit  den anderen aus, profitiert von ihrem Wissen- ist als Teil der Gemeinschaft lernend unterwegs. Was nicht heisst, dass alle Kinder alles und schon gar nicht alles gleich machen (müssen).

Und dieser Satz bringt mich weiter zu den Begabungsdomänen von Howard Gardner… aber das würde jetzt wohl zu weit führen. Das nächste Mal. Versprochen.

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