Imker Kind Bienenwabe

Wie sieht die Begabtenförderung der Zukunft aus?

Kürzlich hatten meine Pensenpartnerin und ich ein ausführliches Gespräch mit dem Evaluationsbeauftragten unserer Schule. Vor mehr als einem Jahr wurden bei uns die Angebote der Begabungs- und Begabtenförderung evaluiert. Leider nicht so multiperspektiv, wie ich mir das gewünscht hätte.
Für mich wäre es wünschenswert gewesen, wenn man nicht ausschliesslich die Lehrerschaft sondern auch die Eltern sowie ehemalige und aktuelle Lernende in die Befragung einbezogen hätte. Dies ging unserer Schulleitung leider zu weit.
Trotzdem erhoffte ich mir von dieser Evaluation einen Einblick, wie sich die Zukunft der Begabtenförderung in unserer Schule gestalten könnte. Vielleicht sogar, wie sie generell gestaltet sein könnte.

Begabungs- und Begabtenförderung sind Teile der Schulentwicklung

Bereits 2004, also vor fast 20 Jahren, habe ich für meine ECHA-Abschlussarbeit diesen Titel gewählt. Der Gedanke, alle Kinder in ihren Fähigkeiten und Interessen zu fördern, ist alt. Und trotzdem hat er sich leider noch nicht wirklich durchgesetzt. Wenn wir den Unterricht und Unterrichtsstrukturen so verändern, dass die Schüler:innen den Sinn hinter einem Inhalt sehen, weil wir Bezüge zu ihrem Alltag, aber auch zu ihren Träumen schaffen, dann wird echtes Lernen möglich. Und dann ist die Begabtenförderung nicht erst in der Zukunft da, sondern bereits Teil der Lösung für eine anregende, differenzierende Schulkultur.

Echte Lernräume gestalten

Es gibt sie, die Schulen, wo das Lernen umgekrempelt wird. In meiner näheren Umgebung denke ich an die Grundacherschule in Sarnen OW, die ihren Schüler:innen sehr viel freies Lernen ermöglicht. Der Makerspace, der dort Macherei genannt wird, ist der Platz, wo die Lernenden Projektideen handwerklich, gestalterisch in analogen u./o. digitalen Prozessen umsetzen. Dabei Erfolge zu feiern und Scheitern zu verarbeiten, sind wichtige Momente. Die Macherei ist in der Grundacherschule ein zentraler Lernort, wo die Lernenden Selbstwirksamkeit erfahren und vernetztes Lernen möglich wird.

Eine Schule, die schon ein Stück weiter entfernt ist, habe ich aktuell in Berichten von Rahel Tschopp gefunden. Es handelt sich dabei um diie Agora Schule in Nijmegen (NL). Das Konzept orientiert sich dabei explizit an den Lernenden. Zwar vermitteln die Lehrenden Lehrplan- und Fächerstrukturen, doch um die Lernenden herum soll sich ein ein Netzwerk entwickeln, mit dem sie sich „nach und nach die Welt in ihrer Multidimensionalität erschliessen“.
Lehrpersonen geben in diesem Konzept ihre Wissenshoheit ab und werden zu Prozessbegleiter und „Facilitators“. Sie sind also eigentlich Mediator, Moderator, »Change-Angel«, Innovationsarchitekt, Prozessbegleiter in einem (Quelle). Bei der Begleitung und Beratung der Schüler:innen werden auch andere Berufsgruppen involviert – genauso wie das der US- Erziehungswissenschaftler und Psychologe Joseph Renzulli im Schulischen Enrichment Model (SEM) anregt. Schön beschrieben hat dies auch Brigitte Stark-Mäder in ihrem Artikel zu den Wünschen an die Schule auf meiner Webseite.

Agora Schule Nijmegen (credits: Rahel Tschopp)

Die Schweizerische Bildungslandschaft beginnt sich zu regen

Was in den Niederlanden schon lange gang und gäbe ist, nämlich die Vergabe von Bildungsgutscheinen, die kind-spezifisch eingelöst werden können, wurde auch in der Schweiz schon diskutiert, aber (beispielsweise vom Lehrerverband) abgelehnt. Dabei zeigt z.B. auch Schweden, dass dieses Konzept zu einem verbesserten Miteinander von privaten und öffentlichen Schulen führen kann. (Quelle). Noch steckt da leider zu viel Angst in den Köpfen der Schweizer Bildungsverantwortlichen…

Die Initiative für Bildungsgerechtigkeit möchte dafür sorgen, dass „genügend finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen, so dass Kinder und Jugendliche mit hohem kognitivem Potenzial (HKP, ab IQ 125) in den öffentlichen Schulen während ihrer gesamten Schulzeit ihren Fähigkeiten entsprechend unterrichtet werden“. Was in der Bundesverfassung (Art. 62 Ziffer 3) für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen und Behinderungen bereits festgelegt ist, soll neu durch eine zusätzliche Ziffer mit entsprechendem Wortlaut für Kinder und Jugendliche mit HKP verankert werden.

Aber auch ganz konkret gibt es in der Schweiz einige öffentliche Schulen, die sehr innovativ und offen unterwegs sind. Ich denke da besonders an die Primarschule Neftenbach mit ihrem Neftorama, die Mosaikschulen in Winterthur, die Primarschule Birmensdorf mit ihrem „Farbriich“ oder die Volksschule Stans, die ihre Räume geöffnet hat und sehr durchmischt arbeitet.

Meine Prognose für die Zukunft der Begabtenförderung

Vielerorts sind Zeichen der Veränderung und des pädagogischen Aufbruchs sicht- und spürbar. Oft sind es die Lehrpersonen an der Basis, die wahrnehmen, dass die Kinder, die in ihrem Klassenzimmer nicht mehr die gleichen sind wie jene vor 10, 20 oder gar 30 Jahren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Abgänger:innen der pädagogischen Hochschulen so lange im Schuldienst bleiben. Leider sind ja die Gegebenheiten vor Ort oft so unbefriedigend, dass die jungen Lehrpersonen gar nicht so lange bleiben.

Ich hoffe und wage die Prognose zu stellen, dass die Begabtenförderung in einigen Jahren nicht mehr explizit im Stundenplan ausgewiesen werden muss, sondern Schullandschaften ganz selbstverständlich so angelegt werden, dass Kinder in ihrem Tempo an jenen Projekten, für die sie brennen, lernen und Wissen erwerben können. Das heisst auch, das Kinder mit hohem Potenzial gut unterstützt genügend Herausforderungen bekommen werden. Allerdings werden wir für die ganz grossen Überfliegen immer deutlich mehr Ressourcen bereitstellen müssen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich dies bis dann in den Köpfen und Herzen der Verantwortlichen durchgesetzt haben wird.
Ich denke weiter, dass Schulen (vielleicht „begünstigt“ durch den Lehrermangel) offener werden, auch externe Fachpersonen einzuladen ihr Wissen zu teilen. Es ist wirklich an der Zeit, dass Lehrpersonen ihre Wissenshohheit abgeben und die Lernenden auf echtes Lernen, wie es im „echten“ Leben überall stattfindet, vorbereiten.

Und dann, ja dann, glaube ich daran, dass wir jene Kinder, die mit hohem Potenzial gesegnet sind, gut und für alle Beteiligten gewinnbringend durch die Schulzeit begleiten können ohne die Begabtenförderung auszulagern.

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