Ein Gastbeitrag von Dr. Malgorzata Dominika Brzeska, EMCC, ECHA Coach, Begabungspädagogin (IFLW) , Hochbegabte Hoch Drei zu meiner Blogparade „Wie förderst du Kreativität bei (deinen) Kindern?“
Um die Kreativität begabter Kinder zu fördern, ist es wichtig, zunächst die einzigartigen Herausforderungen zu verstehen, mit denen sie konfrontiert sind. Diese Kinder denken oft komplexer, hinterfragen mehr und sehen die Welt aus ungewöhnlichen Perspektiven. Ihre Kreativität zeigt sich nicht immer in klassischen Formen wie Malen oder Basteln; oft offenbart sie sich in ihrem einzigartigen Problemlösungsansatz oder in der Fähigkeit, Querverbindungen zwischen scheinbar unverbundenen Themen herzustellen.
Es gibt jedoch kein universelles Rezept, um Kreativität zu fördern – weder bei allen Kindern noch speziell bei hochbegabten. Jedes Kind ist einzigartig, und was bei einem funktioniert, kann bei einem anderen frustrierend oder ineffektiv sein. Hochbegabte Kinder haben oft sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Sie können sich sowohl langweilen als auch überfordert fühlen, und ihre Kreativität kann entweder blühen oder stagnieren. Daher erfordert es Geduld und ein sensibles Gespür, um diesen Funken in ihnen zum Leuchten bringt, ohne ihn zu ersticken.
Kreativität umfasst Begriffe wie Einfallsreichtum, Ideenreichtum, Innovationsfähigkeit, Vorstellungsvermögen, Originalität, kreatives Denken und Schöpfungskraft. Ihre Gegensätze sind Stagnation, Routine, Monotonie, Gedanken- und Lustlosigkeit, Einfallsarmut und Ideenlosigkeit.
Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kommt, wenn ich über Kreativität bei begabten Kindern nachdenke, ist ein Widerspruch. Während man zunächst an klassische kreative Aktivitäten wie Malen oder Basteln denkt, fordert das Schulsystem oft das genaue Gegenteil: Anpassung und Konformität. Dabei bräuchten diese Kinder Räume, in denen ihre Kreativität und ihr Wissensstand frei entfaltet und gefördert werden.
Der innere Konflikt
Ein gegensätzliches Phänomen ist der innere Konflikt zwischen der natürlichen Neugier und Kreativität der Kinder und dem äußeren Druck zur Anpassung an vorgegebene, oft starre Strukturen. Während diese Kinder tief in ihrer kreativen Welt versinken, in der sie Dinge hinterfragen und neue Verbindungen herstellen, werden sie gleichzeitig in der Schule oder im sozialen Umfeld dazu gedrängt, sich an konventionelle Methoden zu halten.
Dieser Anpassungsdruck kann ihre Kreativität dämpfen, besonders wenn sie in einem starren Bildungssystem agieren müssen, das wenig Raum für individuelle Ansätze lässt. Statt ihre kreativen Fähigkeiten auszuleben, lernen sie, sich zurückzuhalten, um nicht aufzufallen oder als „anders“ wahrgenommen zu werden.
Kreativität und Perfektionismus – ein rätselhaftes Duo
Kreativität und Perfektionismus bilden ein faszinierendes, aber oft widersprüchliches Duo. Kreativität erfordert Offenheit, Mut und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren und Fehler als Teil des Prozesses zu akzeptieren. Sie gedeiht, wenn man loslässt, experimentiert und die Möglichkeit des Scheiterns umarmt. Perfektionismus hingegen strebt nach makelloser Leistung, nach Fehlerlosigkeit und Kontrolle. Perfektionistische Menschen fürchten oft Fehler oder das Nicht-Erreichen hoher Standards, was die kreative Entfaltung blockieren kann. Viele begabte Kinder haben hohe Ansprüche an sich selbst, was dazu führen kann, dass sie kreative Projekte gar nicht erst beginnen, aus Angst, diese könnten nicht den eigenen Erwartungen entsprechen. Während ihre Kreativität freies Experimentieren verlangt, kann Perfektionismus sie hemmen, weil sie unvollkommene Ergebnisse vermeiden möchten.
Diese Gegensätze – zwischen angeborener Kreativität und äußeren Anpassungszwängen sowie zwischen freiem kreativen Ausdruck und perfektionistischen Tendenzen – sind zentrale Herausforderungen für begabte Kinder.
Es ist für viele Eltern unglaublich schwer, diesen inneren Konflikt mitzuerleben, wenn ihre Kinder – sei es durch äußere Einflüsse oder ihren eigenen Perfektionismus – beginnen, sich zurückzuziehen und auf der „Wartespur“ zu verharren. Dabei geht es nicht nur um die verlorene Zeit, sondern auch um das psychische Wohlbefinden des Kindes. Die ständige Unterforderung und das Gefühl, nicht verstanden zu werden, können langfristige Auswirkungen auf die emotionale Gesundheit haben. Eltern fühlen sich oft hilflos, da sie spüren, dass mehr auf dem Spiel steht als nur schulische Leistungen – es geht um das innere Gleichgewicht und das Selbstwertgefühl ihrer Kinder.
Der Schlüssel liegt darin, einen Balanceakt zu finden, bei dem beide Seiten harmonieren und sich gegenseitig befruchten, anstatt sich zu behindern.
Kreativität in allen Bereichen des Lebens
Kreativität beschränkt sich nicht nur auf kognitive, künstlerische, technische oder unternehmerische Aktivitäten. Sie spielt auch im Alltag, in sozialen Interaktionen und im emotionalen Umgang eine zentrale Rolle. Es ist wichtig, dass wir als Eltern sensibel für diese vielfältigen Ausdrucksformen sind und sie bewusst wahrnehmen. Denn Kreativität zeigt sich oft in unerwarteten Momenten.
Kinder sind nicht nur im Denken, sondern auch in ihrem Verhalten ausgesprochen kreativ. Eine Mutter erzählte mir kürzlich von einer Situation mit ihrem Sohn: Er wurde gebeten, seine Arme zum Abtrocknen zu heben. Anstatt die Arme einfach zu strecken, stellte er sich grinsend auf die Zehenspitzen und rief: „Jetzt sind meine Arme höher!“ Dieser kleine Moment zeigt, wie kreativ Kinder mit alltäglichen Anweisungen umgehen können.
Ähnliches habe ich bei meinem eigenen Kind während einer Physiotherapie erlebt. Die Aufgabe bestand darin, einen Turm aus Blöcken so hoch wie möglich zu bauen. Statt wie erwartet aufzustehen, um die obersten Blöcke zu erreichen, entschied mein Kind, den Turm in der Mitte zu teilen und fügte dort die neuen Blöcke ein – so wuchs der Turm weiter, ohne die klassische Methode zu verwenden. Und das bei einem Kind, das noch nicht einmal zwei Jahre alt war! Solche Beispiele verdeutlichen, dass hochbegabte Kinder oft schon in sehr jungen Jahren unkonventionelle Lösungswege finden und ihre Welt auf originelle und kreative Weise gestalten.
Diese kleinen Geschichten erinnern uns daran, dass Kreativität nicht immer spektakulär oder aufwändig sein muss – sie steckt oft in den alltäglichen Handlungen unserer Kinder und verdient besondere Beachtung.
Kreativität fördern – Beispiele
Wenn man über Kreativität nachdenkt, denkt man oft zuerst an klassisch kreative Aktivitäten wie Malen, Musizieren, Basteln oder später auch Konstruieren. Doch Kreativität steckt auch in den alltäglichen Momenten – und genau hier möchte ich ansetzen. Als Eltern müssen wir nicht immer große Projekte planen, um die Kreativität unserer Kinder zu fördern. Oft sind es
die kleinen, spielerischen Ideen, die im Alltag für Freude sorgen und das kreative Potenzial entfalten.
Hier ein paar einfache Möglichkeiten, Kreativität ganz leicht in den Alltag zu integrieren:
1. Reime erfinden: Mit deinem Kind Reime bauen – dabei könnt ihr echte Wörter verwenden oder mit kleinen Kindern Lautmalerei ausprobieren, zum Beispiel mit „bam bam“, „tam tam“, „ram ram“ „sam sam“. Auch wenn es erst komisch klingt, entstehen mit solchen Lauten oft lustige und kreative Momente, die viel Spaß machen.
2. Gemeinsam Geschichten erzählen: Jedes Familienmitglied sagt abwechselnd einen Satz, und ihr schaut, wohin euch die Geschichte führt. So entstehen oft die unerwartetsten und lustigsten Erzählungen.
3. Spiele im Auto: Das klassische „Ich sehe was, was du nicht siehst“ kann zu „Ich denke was, was du nicht ahnst“ umgewandelt werden. Hierbei können die anderen Mitspieler nicht nur sichtbare Dinge erraten, sondern auch Gedanken zu Büchertiteln, Gefühlen oder Charaktereigenschaften. Die Spieler stellen Fragen, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden.
4. Kreativität in der Küche: Lasst eure Kinder in der Küche experimentieren, neue Geschmacksrichtungen entdecken oder zum Beispiel ein kreatives Brot oder einen fantasievollen Obstteller nach ihren Vorstellungen gestalten – natürlich unter eurer Aufsicht.
5. Mit Kleidung experimentieren: Lasst euer Kind verrückte Kombinationen ausprobieren und sich lustig oder fantasievoll verkleiden.
6. Rollenspiele mit verstellten Stimmen: Spielt gemeinsam Rollenspiele und passt eure Stimmen den Charakteren an, die ihr verkörpert.
7. Fantasiespaziergänge: Während eines Spaziergangs könnt ihr euch vorstellen, in einer Fantasiewelt zu sein – vielleicht im tiefen Dschungel oder auf einem fremden Planeten. Lasst euer Kind entscheiden, welche Abenteuer ihr dabei erlebt.
8. Kindern Raum für ihr Spiel geben: Lasst euch von eurem Kind zum Spielen einladen und spielt nach seinen Vorstellungen mit.
Dies sind nur einige Beispiele, wie man ganz einfach Kreativität in den Alltag integrieren kann. Sobald ihr damit beginnt, werdet ihr sicher viele weitere kreative Ideen entdecken, die euren Alltag bereichern und den Kindern ermöglichen, ihre Fantasie auszuleben.
Kreativität herausfordern
Begabte Kinder benötigen nicht nur Unterstützung, sondern auch gezielte Herausforderungen, um ihr kreatives Potenzial vollständig zu entfalten. Während „Fördern“ bedeutet, ihre kreative Entwicklung zu unterstützen und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich entfalten können, geht es beim „Fordern“ darum, ihre Fähigkeiten aktiv herauszufordern, um ihr kreatives Denken weiter zu stärken.
Gerade für begabte Kinder, die in der Schule oft unter Langeweile oder Anpassungsdruck leiden, ist es besonders wichtig, dass sowohl Förderung als auch Forderung gezielt und differenziert angegangen werden. Hier sind einige Ansätze, die helfen können, die Kreativität von begabten Kindern zu fördern und zu fordern:
1. Individuelle Interessen unterstützen: Ermutige Kinder, ihren eigenen Interessen und Leidenschaften nachzugehen. Dies bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Kreativität in einem Bereich auszuleben, der sie wirklich begeistert. Projekte außerhalb des Schulalltags, wie künstlerische, wissenschaftliche oder handwerkliche Aktivitäten, bieten eine wertvolle Ergänzung und fördern ihre kreative Ausdruckskraft.
2. Raum für freies Denken schaffen: Begabte Kinder sollten die Gelegenheit haben, außerhalb der starren Strukturen des Schulalltags frei zu denken und zu experimentieren. Offene Aufgabenstellungen, bei denen es keine „richtigen“ Antworten gibt, fördern das divergente Denken und ermutigen sie, alternative Lösungswege zu entwickeln.
3. Mentoren und Vorbilder: Die Zusammenarbeit mit Mentoren, die das Potenzial des Kindes erkennen und gezielt fördern, ist von unschätzbarem Wert. Mentoren helfen dabei, kreative Ansätze zu entwickeln, die nicht durch schulische Normen und Erwartungen eingeschränkt sind. Vorbilder aus unterschiedlichen kreativen Bereichen (Kunst, Wissenschaft, Literatur) können zusätzlich motivieren und inspirieren.
4. Alternative Bildungsangebote nutzen: Wenn der reguläre Schulunterricht die kreative Entfaltung behindert, kann es hilfreich sein, alternative Bildungsangebote in Betracht zu ziehen. Spezielle Kurse, Sommerakademien oder außerschulische Programme, die auf die Bedürfnisse begabter Kinder abgestimmt sind, bieten oft mehr Freiheit und Herausforderungen, um ihre kreativen Fähigkeiten zu entwickeln.
5. Freiraum für Langeweile schaffen: Auch wenn Langeweile oft negativ wahrgenommen wird, kann sie ein wichtiger Katalysator für Kreativität sein. Gib den Kindern die Möglichkeit, sich gelegentlich zu langweilen, und ermutige sie, kreative Wege zu finden, um diese Zeit zu füllen. Dies fördert Selbstständigkeit und Problemlösungsfähigkeiten.
6. Anpassungsdruck hinterfragen
Viele begabte Kinder fühlen sich gezwungen, sich anzupassen, um nicht aufzufallen. Es ist wichtig, ihnen zu vermitteln, dass Anderssein und Kreativität wertvoll sind. Durch Gespräche über Individualität und die Bedeutung eigener Ziele können sie darin bestärkt werden, sich selbst treu zu bleiben und ihre kreativen Potenziale ohne Anpassungsdruck zu leben.
7. Differenzierte Lernumgebungen schaffen
Im schulischen Kontext ist es entscheidend, dass Lehrkräfte geschult werden, um begabte Kinder differenziert zu fördern und herauszufordern. Kreative Aufgaben, die über das reguläre Curriculum hinausgehen, wie anspruchsvolle Projekte, regen das kreative Denken an und beugen Langeweile vor. Konzepte wie „Design Thinking“ oder interdisziplinäre Projekte können ebenfalls die Kreativität fördern.
8. Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme fördern
Kreativität erfordert oft ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Indem man den Kindern mehr Verantwortung für eigene Lernprojekte überträgt, stärkt man nicht nur ihre Kreativität, sondern auch ihr Selbstbewusstsein. Sie können eigene Forschungsfragen entwickeln, die sie interessieren, und diese in einem kreativen Prozess eigenständig bearbeiten.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Förderung und Forderung der Kreativität bei begabten Kindern besondere Aufmerksamkeit verdient, da sie oft deutlich stärker unter Anpassungsdruck leiden, was die Situation besonders schwierig macht. Gleichzeitig ist es faszinierend zu sehen, dass die Methoden, die für begabte Kinder hilfreich sind, auch anderen Kindern zugutekommen können – so profitieren letztlich alle. Passend dazu ein Zitat von Albert Einstein: „Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat.“ Kreativität bietet Kindern die Möglichkeit, spielerisch ihre Potenziale zu entfalten und neue Wege zu beschreiten. Also vor allem: „Habt Spaß!“