Der Elternverein hochbegabter Kinder veranstaltet vom 24.10.-5.11.22 einen Mathe-Zyklus mit Gert Mittring. Dr. Dr. Gert Mittring ist Diplom-Informatiker, Doktor der Erziehungswissenschaften und der Psychologie. Mittring arbeitet als freier Wissenschaftler in der Hochbegabtendiagnostik sowie in der psychologischen Testtheorie und Testentwicklung.
Fachgespräch im kleinen Kreis
Ein bisschen leer geschluckt habe ich schon, als mich Meret Nora Wirz, die Präsidentin des EHKs und Organisatorin der Aktion, kurz vor Beginn des Fachgespräches informiert hat, dass sich nur zwei Teilnehmerinnen dazu einfinden würden. Mein erster Impuls war echt, einfach wieder heimzugehen. Aber erstens hatte ich ein schlechtes Gewissen der anderen Teilnehmerin, die ich kenne, gegenüber und zweitens fand ich es auch dem Referenten gegenüber unfair. Und drittens erhoffte ich mir interessante Inputs – der Mann hat schliesslich einen spannenden CV.
Von Pi nach Pisa
So heisst eines der vielen Bücher, die Gert Mittring verfasst hat. Unser Gespräch hüpfte ähnlich herum – das mag ich sehr. Trotzdem hatte es einen roten Faden: Mathematik und hochbegabte Kinder. Inhaltlich hätte es darum gehen sollen, wie mathematisch begabte Kinder entdeckt werden können und welche Aufgabenvorschläge sich für mathematisch begabte Kinder im Rahmen des Schulalltags eignen würden. Man hätte auch über die Ausarbeitung von individuellen Lernzielen, Mentoring als individuelle Begleitung von Hochbegabten (auch bei Minderleistung), die Vermittlung des Sinnes der Mathematik (Naturwissenschaften) oder über den Umgang mit Wissenslücken bei Klassensprüngen reden können. Gert Mittring wäre da sicher eine absolut eloquente Koryphäe gewesen. Sehr viel Konjunktiv auf einmal. Ich nehme mich an der Nase: Ich war schlecht vorbereitet. Und so nahm das Gespräch eine andere Richtung als wohl vorgesehen war. Das machte es aber nicht weniger spannend, denn der kleine Kreis machte es möglich, dass wir sehr in die Breite mäandrieren konnten.
Pädagoge, Psychologe….Philosoph
Es war ein Genuss, am verbalen Ping-Pong Spiel zwischen dem Referenten und uns zwei Teilnehmerinnen (notabene auch keine Grünschnäbel im Bereich Begabtenförderung) teilzunehmen! Wir schweiften von Konzepten der Philosophie zu den vedischen Sutren als Basis für ein anderes Denken der Asiaten und landeten schliesslich bei der Wichtigkeit der Sprache für Metakognition und Denken.
Welche mathematischen Inhalte müssten schon im Zyklus 1 angetippt werden?
Mittring, der auch diagnostisch tätig ist, plädiert dafür, dass Kinder früh mit abstrakten Konzepten wie z.B. Grössenordnungen oder Symbolen in Kontakt kommen. Damit verbunden ist auch die Stellentafel, damit die Lernenden erfahren, dass es eben wichtig ist, wo in der Zahl beispielsweise eine 5 steht. Als unabdingbar hebt der Weltmeister in Kopfrechnen auch das Schätzen, die approximative Annäherung an ein Resultat, hervor.
Besonders eingeleuchtet hat mir sein Hinweis zur Wichtigkeit der Präsidentenzahlen: Das sind jene Zahlen, die eine eigene Banknote haben – auf denen waren ja früher oft die Staatsoberhäupter abgebildet. Wenn also Kinder zu (je nach Land) 5, 10, 20, 50, 100, 200 und 1000 eine emotionale Beziehung haben, können sie diese Zahlenwerte auch besser einschätzen.
Dazu kommt mir eine Episode aus vergangenen Zeiten, als ich noch Klassenlehrerin war, in den Sinn. Ein Schüler wollte mir etwas über die Zahl „eine Million“ erzählen, aber der Begriff „Million“ kam ihm nicht mehr in den Sinn. Also behalf er sich mit „die Zahl von Dagobert“. Wie cool ist das denn? Der reiche Geizhals Dagobert Duck als Symbol für diese grosse Zahl! Später entwickelte er dann mit einem Kollegen die Gleichung „Donald mal Donald gleich Dagobert“ 😃. Für eine 6. Klässlerin könnte also 50 eine „Handtäschchenzahl“ sein, für den Fussballer 100 für die Nockenschuhe.
Leidenschaft ist unabdingbar für hohe Leistung. Eine emotionale Bindung zu dem, was man tut, führt zur Aufgabenverpflichtung. Wie toll wäre es, wenn unsere Schüler:innen diese emotionale Bindung auch zu Zahlen aufbauen könnten! Aber dazu braucht es auch Lehrpersonen, die dieses Feuer haben und weitergeben oder jedenfalls entfachen können.
Ich selber zähle mich nicht zu den mathematischen Überfliegern, aber ich erinnere mich gerne daran, wie ich mit interessierten Kindern die Fibonacci-Zahlen anhand der Vermehrungszyklen der Hasen ausgelegt haben. Hunderte von kopierten und laminierten Hasen tummelten sich im Schulhauseingang.
Wie könnte eine verbesserte mathematische Bildung unser Leben verändern?
Diese Frage finde ich hochinteressant und bin froh, dass meine Kollegin sie gestellt hat! Gert Mittring zählt sofort eine Reihe von Gründen und Konsequenzen auf:
Menschen wären gemäss ihm
- aufmerksamer und bewusster
- weniger fehlplanungsanfällig
- fähig Statistiken zu lesen und kritisch zu hinterfragen
- strukturierter
- realistischer im Umgang mit Finanzen
Deshalb führt Mittring auch extrem gerne Kinder in mathematische Welten und ihre Tricks ein. Es gehe einfach darum, zu zeigen, dass Mathe Spass machen kann. Zudem bräuchten mathematische interessierte Kindern auch Vorbilder und ihresgleichen. Nichts Neues also für uns, die sich schon immer um die Pädagogik gekümmert haben. Aber was in Sport und Musik anerkannt und legitim ist, muss sich in Mathematik erst noch durchsetzen. Gert Mittring gehört zu denen, die dafür leidenschaftlich gerne einstehen!