Kennst du das? Du tust, hörst, erlebst etwas ganz Bestimmtes und dein Körper reagiert mit Gänsehaut. In meiner Arbeit als Visualisierungscoach MindTV arbeiten wir ja ganz stark mit dem Körper – er teilt uns durch Kribbeln, Druck- und Temperaturempfindungen mit, dass Blockaden vorhanden sind, die gelöst werden sollten. Da gibts dann auch mal Gänsehaut. Hier aber erzähle ich dir von einem Erlebnis, das ich während meiner Tätigkeit als Potenzial-Diagnostikerin hatte.
Wie ich dazu komme, darüber zu schreiben? Die liebe Chris Collet, Finanzberaterin für Frauen, die ich schon viele Jahre online kenne und mit der mich die Liebe zu Hunden verbindet, hat zur Blogparade aufgerufen. Sie sammelt Gänsehautmomente, die wir Selbständige in unserer Businesstätigkeit erlebt haben. Ich habe einige solcher Situationen erlebt, aber ich erzähle euch gerne die Geschichte von Anna (Name geändert) und ihrer Mutter.
Eine aufmerksame Lehrerin
Bereits als Anna in die 1. Klasse ging, fiel sie ihrer Lehrerin als besonders wissbegierig und eloquent auf. Obwohl sie noch nicht viele der Fertigkeiten, die man in der Schule erwirbt, beherrschte, war es erstaunlich, wie schnell sie neue Inhalte auffasste und Gelerntes miteinander verknüpfte. Und als erfahrene Lehrperson beschlich die Lehrerin bald einmal das Gefühl, dass Anna über ein sehr hohes Potenzial verfügen könnte. Sie liess Anna mit den Zweitklässlern arbeiten und kein Aussenstehender hätte gemerkt, dass sie nicht da hinein gehörte. Ein Gespräch mit Annas Mutter, einer alleinerziehenden, hart arbeitenden Frau, die alles daran setzte, dass es Anna gut ging, war wenig motivierend. Frau Huber wollte nicht, dass Anna spezielle Fördermassnahmen bekam und „Extrawürste brauchen wir nicht“, liess sie die Lehrerin wissen.
Dies ging so lange gut, bis Anna eines Tages nicht in der Schule erschien. Als die Lehrerin telefonisch nachfragte, erklärte Frau Huber mit tränenerstickter Stimme, dass Anna sich weigere, zum Unterricht zu gehen. „Ich weiss gar nicht, was ich tun soll“, erklärte sie verzweifelt.
Private Testung
Die Lehrerin schlug vor, Anna einer Potenzial-Evaluation zu unterziehen. Da der zuständige Schulpsychologische Dienst völlig ausgebucht und zeitnah überhaupt nicht verfügbar war, schlug die Lehrerin Frau Huber eine Testung bei mir vor. Es war dann Annas Patentante, die die Kosten dafür übernahm, weil Annas Mutter keine Ahnung hatte, wie sie diese Ausgabe stemmen sollte.
Testtag
Als Anna an jenem Montagmorgen meinen Potenzialraum betrat, ahnte ich noch nicht, dass dieser Tag in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich werden würde. Anna war ein kleines Mädchen, zierlich und mit großen, fragenden Augen, die von einer ungewöhnlichen Neugierde erfüllt waren. Ihre Mutter stand etwas nervös neben ihr, unsicher, was sie von dem bevorstehenden Test zu erwarten hatte. Anna dagegen schien die Ruhe selbst zu sein. Ihre Hände hielten ein Buch umklammert, als wäre es ein treuer Begleiter in unbekanntem Terrain. Ihre Mutter verabschiedete sich. Sie würde Anna in 90 Minuten wieder abholen.
Schon als wir das interview, mit dem ich die Kinder besser kennenlernen und ihre Scheu abbauen will, begannen, spürte ich, dass Anna mehr war als ein durchschnittliches achtjähriges Kind. Es war nicht nur ihre Ausdrucksweise – präzise, aber gleichzeitig voller kindlicher Fantasie – sondern auch die Art und Weise, wie sie meine Fragen durchdacht und mit einer natürlichen Leichtigkeit beantwortete.
Aber ich wollte nicht voreilig sein. Tests sind Tests, und selbst wenn das Kind aussergewöhnlich klug erscheint, bleibt es wichtig, einem klaren, strukturierten Prozess zu folgen.
Die Testung verlief ruhig. Anna bewegte sich durch die Aufgaben mit einer bemerkenswerten Gelassenheit. Es war fast so, als würde sie spielen, als wären die komplexen Denksportaufgaben, die ich ihr stellte, nichts weiter als ein weiteres Puzzle, das sie in ihrer Freizeit gerne zusammensetzte. Sie freute sich über anspruchsvolle Fragestellungen und gab mit geröteten Wangen präzise Antworten. Doch was mich am meisten faszinierte, war ihre Fähigkeit, komplexe Probleme intuitiv zu erfassen. Oft schien sie eine Lösung zu finden, bevor sie überhaupt alle Informationen erhalten hatte, als ob ihr Verstand die Logik der Welt bereits erfasst hätte, noch bevor sie die Regeln kennenlernte.
Als ihre Mutter sie abholte, erzählte das Mädchen völlig begeistert und wäre am liebsten bereits am Nachmittag zum zweiten Teil erschienen.
Der zweite Termin verlief ähnlich wie der erste. Als Frau Huber ihre Tochter abgeholt und ich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, gab ich die erreichten Punkte in das Auswertungsprogramm ein. Als der Computer die Ergebnisse ausspuckte, stockte mir der Atem. Ein IQ von 148 – eine Zahl, die einem Prozentrang von 99,93127 entspricht. Das heisst nicht mal ein Prozent aller gleichaltrigen Kinder erreichen diesen Wert. Ich spürte, wie die Gänsehaut meine Wirbelsäule hoch kroch. Fast noch mehr als das Resultat an sich überraschte mich die mühelose Art, mit der Anna diese Zahl erreicht hatte. Es war, als wäre dies für sie die natürlichste Sache der Welt. Der WISC-V, mit dem ich sie testete, hatte hier seinen Deckeneffekt offenbart. Vielleicht wäre für Anna noch mehr drin gelegen.
Auswertungsgespräch
Ich blickte auf und sah Frau Huber an. Sie sass angespannt auf dem Sofa, die Hände nervös in ihrem Schoß verschränkt. Ich konnte Sorge in ihren Augen sehen – eine Sorge, die nicht allein aus Unsicherheit über das Testergebnis herrührte, sondern aus etwas Tieferem. Etwas, das in ihrer Vergangenheit verwurzelt war.
Zuerst erzählte ich meine allgemeinen Eindrücke von Anna, der Freude und Leichtigkeit, mit der sie die hohen Resultate erzielt hatte. Das Gesicht der Mutter blieb angespannt. „Frau Huber“, fuhr ich vorsichtig fort, „Anna hat aussergewöhnlich hohes Potenzial. Sie hat einen IQ von 148 erreicht. Das ist ein weit überdurchschnittliches Resultat.“
Es war, als hätte ich eine unsichtbare Mauer durchbrochen. Frau Huber erstarrte für einen Moment, ihre Augen weit aufgerissen. Die Worte schienen in der Luft zu hängen, als ob sie nicht wusste, wie sie sie aufnehmen sollte. „148?“, wiederholte sie leise, fast ungläubig. „Das… das ist unglaublich.“
Ich nickte, versuchte ihre Unsicherheit zu beruhigen. „Ja, es ist außergewöhnlich. Aber Hochbegabung ist mehr als nur eine Zahl. Es geht darum, wie wir dieses Potenzial fördern und gleichzeitig sicherstellen, dass Anna sich wohl und unterstützt fühlt.“
Gänsehaut
Doch Frau Huber hörte mir kaum zu. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet, als würde sie etwas sehen, was ich nicht erfassen konnte. „Ich…“ Sie hielt inne, dann senkte sie den Kopf, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich habe immer geahnt, dass ich vielleicht auch hochbegabt bin. Aber ich habe es nie zugelassen, es zu glauben. Ich habe es verdrängt.“
Da war sie wieder, diese Gänsehaut, die ich schon beim IQ-Ergebnis gespürt hatte. Denn das Geständnis überraschte mich. Frau Huber schien wie eine Mutter, die ihren Platz im Leben gefunden hatte – fürsorglich, bodenständig, fest verankert im Alltag. Doch jetzt öffnete sich eine Tür in ihre Vergangenheit, und ich konnte erahnen, dass dort mehr schlummerte, als man auf den ersten Blick sehen konnte.
„Es war damals anders“, fuhr sie fort, ihre Stimme nun etwas fester. „Ich war immer das kluge Mädchen, das alles schnell verstand. Aber anstatt mich zu fördern, sagten die Lehrer und sogar meine Eltern oft, ich solle mich zurückhalten, nicht so auffallen. Ich fühlte mich oft isoliert, anders, und irgendwann beschloss ich, mich anzupassen. Ich wollte einfach dazugehören.“
Ich nickte verständnisvoll. Es ist eine Geschichte, die ich schon oft gehört habe und auch aus eigener Erfahrung kenne – Menschen verbergen ihre auergewöhnlichen Fähigkeiten, um sich nicht von der Masse abzuheben. Es ist traurig, aber es kommt häufig vor. Auch heute noch hat die Gesellschaft oft Schwierigkeiten, Hochbegabte zu verstehen und sie richtig zu fördern.
„Aber bei Anna…“ Sie stoppte und sah mich dann mit einem entschlossenen Blick an. „Bei ihr darf das nicht passieren. Ich möchte nicht, dass sie sich jemals so fühlt wie ich damals. Aber… ich weiss nicht, wie ich damit umgehen soll.“
Klarheit
Es war ein bewegender Moment der Klarheit, sowohl für Frau Huber als auch für mich. Sie war eine Mutter, die mit ihrer eigenen Vergangenheit kämpfte, aber entschlossen war, dass ihre Tochter einen besseren Weg finden würde. Ich spürte ihre Verzweiflung, aber auch ihre Stärke und ihren Willen, das Richtige zu tun.
„Frau Huber“, sagte ich sanft, „das Wichtigste ist, dass Sie für Anna da sind und sie auf ihrem Weg unterstützen. Hochbegabung ist keine Bürde, sondern eine Gabe, Nicht umsonst reden die Engländer von „Gift“, wenn sie von Hochbegabung sprechen. Aber es ist eine Gabe, die Pflege und Verständnis braucht. Sie müssen ihr Raum geben, um zu wachsen, aber auch die richtigen Grenzen setzen, damit sie sich nicht überfordert fühlt.“
Sie sah mich an, und zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs sah ich einen Funken Hoffnung in ihren Augen. „Ich möchte es richtig machen“, sagte sie leise. „Aber ich habe Angst, dass ich versage.“
Fördermöglichkeiten
„Sie werden nicht versagen“, antwortete ich bestimmt. „Sie haben bereits den ersten Schritt gemacht, indem Sie hierhergekommen sind. Es gibt viele Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten für hochbegabte Kinder und ihre Eltern. Sie sind nicht allein auf diesem Weg.“
Unsere Unterhaltung setzte sich fort, und wir sprachen über Möglichkeiten, wie Anna sowohl intellektuell als auch emotional gefördert werden könnte. Ich erklärte ihr, wie wichtig es sei, Anna nicht nur in akademischen Bereichen zu unterstützen, sondern auch ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu stärken. Hochbegabte Kinder können oft das Gefühl haben, anders zu sein, und es ist entscheidend, dass sie lernen, diese Andersartigkeit zu akzeptieren und als Stärke zu betrachten.
Frau Huber hörte aufmerksam zu, machte sich Notizen und stellte Fragen. Ich konnte sehen, dass sie trotz ihrer Ängste bereit war, alles zu tun, um Anna zu unterstützen. Gleichzeitig schien sie auch mehr über sich selbst zu lernen – über die Fähigkeiten und Träume, die sie lange Zeit unterdrückt hatte.
Hoffnungsfunken
Ein paar Wochen nach unserem Gespräch erhielt ich eine Mail von Frau Huber. Sie schrieb mir, dass sie begonnen habe, sich selbst mehr mit dem Thema Hochbegabung auseinanderzusetzen. Sie hatte Bücher darüber gelesen, war einer Selbsthilfegruppe für hochbegabte Erwachsene beigetreten und hatte sogar überlegt, ihre eigene Intelligenz einmal testen zu lassen – nicht aus Eitelkeit, sondern um zu verstehen, warum sie sich immer so anders gefühlt hatte. Ganz wunderbar an diesem Prozess war auch, dass ihre Eltern, also Annas Grosseltern, die beiden finanziell unterstützten. Vielleicht war da auch so etwas wie schlechtes Gewissen der erwachsenen Tochter gegenüber aufgeflackert?
Anna, erzählte Frau Huber mir, blühte mittlerweile auf. Sie ging mittlerweile in eine andere Schule, die ihre Begabungen vertiefter förderte, aber auch ein Umfeld bot, in dem Anna sich sicher und akzeptiert fühlte. Sie hatte neue Freunde gefunden, die ihre Leidenschaft für Bücher und Puzzles teilten, und Frau Huber berichtete stolz, dass Anna mittlerweile in der Schule Vorträge über Meeresbiologie hielt – mit nur acht Jahren.
Doch das Beste an dieser Geschichte ist nicht nur Annas Erfolg, sondern auch die Veränderung, die in Frau Huber stattfand. Indem sie ihrer Tochter half, ihre Hochbegabung zu akzeptieren und zu entwickeln, hatte sie begonnen, ihre eigene innere Stärke zu entdecken. Sie hatte erkannt, dass ihre Begabung keine Last war, sondern eine Quelle des Stolzes – etwas, das sie lange Zeit versteckt hatte, weil die Welt sie nicht verstanden hatte. Aber nun, durch die Augen ihrer Tochter, lernte sie, sich selbst wieder zu vertrauen.
Am Ende dieser Reise, die zwar nicht wirklich endete, sondern gleichzeitig einen neuen, vielversprechenden Anfang gefunden hatte, stand eine kleine Familie, die stärker und enger zusammengewachsen war. Anna hatte in ihrer Mutter nicht nur eine liebevolle Begleiterin, sondern auch ein Vorbild gefunden. Und Frau Huber hatte gelernt, dass es nie zu spät ist, die eigene Gabe zu erkennen und zu feiern.
Die Zukunft scheint hell
Als ich ihre letzte Nachricht las, in der sie mir für meine Unterstützung dankte und berichtete, dass sie nun auch selbst mit dem Gedanken spiele, die Erwachsenenmaturanachzuholen, um ein langgehegtes Interesse an der Mathematik zu verfolgen, lächelte ich. Da war sie wieder, diese Gänsehaut, die in in der Begleitung dieser zwei Frauen öfters gespürt hatte! Es war einer dieser seltenen Momente, in denen ich wusste, dass meine Arbeit einen tiefgreifenden Einfluss auf das Leben von Menschen gehabt hatte – nicht nur auf Anna, sondern auch auf Frau Huber.
Manchmal, so denke ich, kommt Hochbegabung in unerwarteten Formen und Momenten zum Vorschein. Und manchmal braucht es nur einen Funken – einen Test, ein Gespräch, einen kleinen Schritt – um das Feuer zu entfachen, das lange in uns geschlummert hat.
Liebe Dina
Vielen Dank für diese feinfühlig erzählte Geschichte. Jetzt habe ich auch Gänsehaut :-).
Was für ein Geschenk, wenn zwei Menschen ihre Potentiale annehmen und Freude daran haben dürfen. Du machst eine wundervolle Arbeit.
Liebe Grüsse
Chris
chriscollet.com
Danke sehr, liebe Chris!
Ja, ich finde sie sehr sinnstiftend.
Liebe Grüsse, Dina
So eine berührende Geschichte.
Danke hast du sie mit uns geteilt!
Danke, dass du sie gelesen und doch berühren gelassen hast, liebe Andrea! Dein Kommentar freut mich sehr!
Liebe Grüsse
Dina
Danke dir ganz herzlich für diesen Kommentar!
Liebe Grüsse
Dina