Meine persönliche Geschichte mit der Hochbegabung

Mit diesem Blogartikel folge ich dem Aufruf von Susanne Burzel, die eine Blogparade mit dem Titel „meine Geschichte mit Hochbegabung“ initiiert hat.
Hochbegabung begleitet mich schon mein ganzes Leben. Nur wusste ich es damals nicht. Retrospektiv erklärt es aber Vieles.

„Muss man eigentlich hochbegabt sein, um hochbegabte Kinder zu unterrichten?“
Diese Frage begegnet mir oft. Manchmal charmant verpackt, manchmal ganz direkt: „Und Sie? Sind Sie auch hochbegabt?“

Man stelle sich vor, wir würden Zahnärzt:innen fragen, ob sie selbst Karies haben. Oder Metzger:innen, ob ihnen das Schlachten Freude bereitet.
Aber gut – ich verstehe die Frage. Und ich beantworte sie gern.

Meine Antwort?
Nein – man muss nicht selbst hochbegabt sein.
Aber man muss ein echtes Interesse mitbringen: an Kindern, an ihren Fragen, an ihren wilden Gedankensprüngen. Und bereit sein, die vielen Mythen, die sich so hartnäckig halten, zu hinterfragen.

Und man sollte als Erwachsene fähig sein zu sagen: „Das weiss ich nicht – lass es uns gemeinsam herausfinden.“
Mut zur Lücke, statt Perfektionismusgehabe. Das ist für mich die eigentliche Königsdisziplin.

Ein Rückblick – und ein kleines Mädchen mit Rollschuhen

Ich hatte das Glück, in einem lebendigen, durchmischten Arbeiterquartier aufzuwachsen – am Waldrand, mit Kindern, Wald, Kreiden und Gummitwist. Wir stritten, spielten, erfanden, lernten. Nicht aus Büchern, sondern aus der Vielfalt. Heute würde man sagen: in einem heterogenen Umfeld mit hohem Selbstwirksamkeitspotenzial.

Ich liebte den Kindergarten. Und ich liebte meine Kindergärtnerin.
So sehr, dass ich freiwillig länger blieb. Die Schule? Konnte warten. Ich hatte ja den Wald.

Als es dann doch so weit war, war ich wenig begeistert. Mein erster Schultag bleibt mir in Erinnerung – nicht wegen des Schulranzens, sondern wegen des Wortes „fleissig“ an der Tafel, das ich nicht lesen konnte – aber Roland schon. Ich war beeindruckt. Und herausgefordert.

Lesen und Schreiben lernte ich schnell. Aber vor allem: Ich lernte das Leben zu lieben, das in Büchern steckt. Die Schulbibliothek wurde mein Zufluchtsort. Und meine Bibliothekarin meine Mentorin.

Der Umweg, der keiner war

Ich hatte gute Lehrer. Und solche, die mich kleinhalten wollten. Der eine hat mich inspiriert, später selbst Lehrerin zu werden. Der andere hat mich gelehrt, wie verletzend ein Machtgefälle sein kann – und wie wichtig ein sicherer Selbstwert ist.

Ich wechselte nicht ans Gymnasium, obwohl ich die beste Aufnahmeprüfung der Gemeinde gemacht hatte. Ich wollte bei meinen Freundinnen bleiben. Ein typischer Scannerentscheid – nicht rational, sondern emotional vielfältig motiviert.
Als ich dann doch ins Lehrerseminar wechselte, sollte ich einen IQ-Test machen. Drei Mal.
Warum? Weil die Ergebnisse „nicht stimmen konnten“. Zu hoch. Für ein Arbeiterkind wie mich.
Heute weiss ich: Man wollte das nicht sehen. Es passte nicht ins Bild.
Damals war ich einfach irritiert. Heute macht es mich wütend – und gleichzeitig entschlossen.
Denn genau deshalb schaue ich heute besonders auf Kinder aus bildungsfernen Kontexten.
Weil Begabung keine Frage der Herkunft ist. Und weil der Zugang zu Förderung kein Privileg sein darf.

Mutter werden – und alles anders sehen

1995 hätte ich beinahe die ECHA-Ausbildung begonnen. Ich hatte mich bereits angemeldet – und dann kam mein erster Sohn. Und mit ihm ein neues Kapitel. Er war – wie sich später zeigte – hochbegabt. Und sein kleiner Bruder, 2,5 Jahre jünger, ist ein sogenanntes 2e-Kind: hochbegabt und gleichzeitig mit besonderen Herausforderungen.
Es war, als ob mir das Thema Hochbegabung damit nicht nur beruflich, sondern auch persönlich ins Leben geschrieben wurde.
Und plötzlich war alles Theorie nur noch halb so relevant – denn nun hatte ich ein echtes Kind vor mir. Mit echten Fragen. Mit echtem Schmerz. Und mit einer Sehnsucht nach Echtheit, die man nicht auf einen Förderplan drucken kann.

Und ich?

Du fragst dich, ob ich selbst hochbegabt bin?
Nun. Wenn du bis hierher gelesen hast, kennst du die Antwort vermutlich.

Oder sagen wir es so:
Ich bin jemand, der Bücher liebt, Zusammenhänge sieht, sich in einem Moment mit Philosophie beschäftigt und im nächsten mit dem besten Linsensalat-Rezept.
Ich denke schnell, bin neugierig, schiebe zehn Projekte gleichzeitig an – und verliere mich dabei auch mal in Details oder Träumen.
Ich bin eine Scannerin, vielbegabt, vielseitig – und oft schwer zu beschreiben.

Was ich aber sicher bin:
Ich bin eine leidenschaftliche Begleiterin für Kinder, die anders denken.
Ich sehe sie. Ich höre ihnen zu. Und ich nehme sie ernst – so wie sie sind. (👉 „Manche Eltern sind verunsichert, wenn ihr Kind sich so ganz anders verhält – ich begleite sie gern. Hier geht’s zu meinem Beratungsangebot.“

Heute

Seit über 35 Jahren bin ich Lehrerin. Seit 2004 begleite ich Kinder, Eltern und Lehrpersonen im Bereich der Begabungsförderung.

Meine Haltung im Unterricht

Ich habe vom Kindergarten bis zur Abschlussklasse unterrichtet, Konzepte geschrieben, Schulen beraten und bald werden meine Bücher veröffentlicht. (👉 „Wenn du Lust hast, mehr zu erfahren – oder mein neues Elternbuch gleich von Anfang an mitzuverfolgen, dann trag dich hier in meine Vorfreudeliste ein.“)

Was mich antreibt, ist kein Label.
Sondern die Überzeugung:

Jedes Kind hat ein Recht darauf, auf seinem Niveau und in seinem Tempo gesehen und gefördert zu werden.

Zum Schluss

Nein, man muss nicht hochbegabt sein, um hochbegabte Kinder zu unterrichten.
Aber man muss ihnen mit Offenheit, Demut und echtem Interesse begegnen.

Und ja – es hilft, wenn man weiss, wie sich Langeweile anfühlt.
Denn dann weiss man auch, wie wertvoll es ist, endlich gesehen zu werden.

1 Gedanke zu „Meine persönliche Geschichte mit der Hochbegabung

  1. Von: Susanne Burzel

    Hallo liebe DIna,
    herzlichen Dank für diesen schönen Beitrag zu meiner Blogparade! Ich finde es wundervoll, dass du deine Gabe und dein Sein für die Arbeit mit hochbegabten Kindern einsetzt, dass es dir „ins Leben geschrieben wurde“ – was für ein schöner Ausdruck! Das ist eine große Bereicherung, fühlen sich diese Kinder doch oft missverstanden und nicht zugehörig.
    Alles liebe für dich und danke für deine wertvolle Arbeit!
    Susanne

    Antworten

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