Ich habe Gabriella Rauber im Blogprogramm „The Content Society“ kennengelernt. Ihre differenzierte Art Feedback zu geben, ist mir sofort aufgefallen, auch die Art und Weise, wie sie ihre Texte schreibt. Zudem dass sie wie ich mit Kindern unterwegs ist. Gabriella Rauber arbeitet als Sekundarlehrerin, Schreibberaterin und Praxislehrperson in Zürich. Sie ist Expertin für Schule und Unterricht und liebt es, Wissen zu erweitern und zu vermitteln. Und ganz frisch ist sie auch Teil des Team Sympatexter– ein Herzenswunsch, der sich diese Tage erfüllt hat- über dessen Realisierung ich aber leider zum Zeitpunkt des Interviews noch nichts gewusst habe.
Schreiben hilft Gabriella Rauber beim Klären ihrer Gedanken, es lässt Reflexionen und Hinterfragen zu und wirkt entschleunigend. Geschichten erzählen und erzählen lassen, sind ein wichtiger Teil ihrer Arbeit.
Teamwork makes the dream work – so lassen sich all ihre Aktivitäten auf den Punkt bringen. Nur in der Auseinandersetzung und dem Austausch mit anderen Meinungen, Stimmen und Texten realisieren sich Träume. So viel lässt sich ihrer Website entnehmen. Da gibt es aber bestimmt noch andere spannende Dinge.
Das Interview wurde per Zoom geführt und steht hier in voller Länge zur Verfügung. Das vorliegende Gespräch fokussiert sich auf die wesentlichsten Inhalte.
Liebe Gabriella, du unterrichtest als Sekundarlehrerin Jugendliche in einem herausfordernden Alter. Was motiviert dich an deinem Beruf?
Ich finde die Phase der Pubertät extrem spannend. Die Jugendlichen sind nicht mehr Kinder, aber auch noch keine Erwachsenen.
- Sie überschreiten Grenzen, damit sie als Persönlichkeiten wahrgenommen werden und man mit ihnen ins Gespräch kommt.
- Ihre Wünsche und Bedürfnisse entsprechen nicht den Wünschen ihrer Eltern. Sie wollen ihren eigenen Weg gehen und gleichzeitig ist es ihnen sehr wichtig, dass ihre Eltern auf sie stolz sind.
- Sie erleben eine völlig neue und unbekannte Gefühlswelt. Dies führt zu Verunsicherungen, die oft mit coolem Auftreten überdeckt wird.
Ich liebe die Arbeit mit dieser Altersgruppe, weil
- …ich authentisch lebe und bleibe. Also ich muss wirklich so sein, wie ich bin. Diesen Jugendlichen kann man nichts vormachen. Es gibt keine besseren Psychoanalytiker:innen als Jugendliche. Sie durchschauen Lehrpersonen, sie konfrontieren und wenn sie eine Schwachstelle finden, dann sind sie gnadenlos.
- …ich Samen setzen darf. Diese Metapher verwende ich sehr gerne. Ich gebe meinen Jugendlichen etwas mit auf den Lebensweg. Die Ergebnisse sind nicht sofort sichtbar. Vielleicht erst in 5 oder 10 Jahren. Aber ich bin überzeugt, dass echtes Interesse, die Erfahrung, dass jemand wirklich für diese jungen Menschen da ist, mit ihnen spricht, für sie Zeit hat – dass diese Erfahrungen ihnen eine Sicherheit im Leben vermitteln. Dass sie sich in schwierigen Situationen daran erinnern und Kraft daraus ziehen können.
- …mich interessiert nicht, ob sie im Französisch reflexive Verben konjugieren können. Das ist ein netter Nebeneffekt. Was ich mit meinem Unterricht erreichen möchte, ist selber zu denken, Meinungen zu äussern, den Blick für Ungewohntes, Abstossendes zu öffnen. Zuzuhören, ohne den anderen runterzumachen, bereit sein, Meinungen zu ändern, sich zu hinterfragen etc.
- …ich unterrichte hauptsächlich B/C-Schüler:innen, also die Schwächeren. Sie kommen zu Beginn der Sekundarschule und wissen, dass sie dumm sind. Und ich zeige ihnen im Verlauf der drei Jahre, dass sie nicht dumm sind, aber vielleicht andere Zugänge, mehr Zeit, vereinfachte Aufträge benötigen. Unter vereinfachten Aufgaben verstehe ich keine Idiotenaufgaben. Meine Schüler:innen sind fähig Gymiaufgaben zu lösen. Aber sie brauchen eine klare, kurze Aufgabenstellung, Schritt für Schritt. Und Zeit, und Motivation.
Wenn ich das so höre, denke ich, du könntest so eine Art Vermittlerrolle zwischen den Jugendlichen und den Eltern haben. Gibt es Momente, wo du quasi «Dolmetscherin Jugendliche – Erwachsene» spielst?
Mit den Schüler:innen geschieht das oft, weil ich ja selber Kinder habe. Ich weiss, was die Pubertät für Eltern bedeutet. Diese netten, kleinen, angepassten Dinger entwickeln sich plötzlich zu Monstern, die sich nichts mehr sagen lassen. Da versuche ich den Jugendlichen jeweils auch die andere Seite aufzuzeigen und darzulegen, dass die Eltern auch Ängste und Befürchtungen haben, dass sie auch konfus sind und auch nicht recht wissen, wie es weitergehen soll.
Kürzlich hatten wir eine Diskussion in der Berufswahl und da hat ein Schüler gesagt: «Aber Sie, wenn ich keine Lehrstelle finde, dann enttäusche ich meine Eltern und dann können sie nicht mehr stolz sein.“ Dann haben wir darüber diskutiert, dass die Eltern wissen, wie das läuft, wenn man eine Stelle sucht. Dass das nicht immer auf Anhieb geht. Ich habe ihm dann geraten, wenn er einmal einen guten Moment findet, mit dem Vater oder der Mutter darüber zu sprechen, dass er Angst hat. Dass er Angst hat, sie zu enttäuschen, dass er Angst hat, nichts zu finden.
Von der Elternseite her ist es ein bisschen schwieriger. Von den Eltern kommt oft die Frage: «Was würden Sie denn tun?» Und das kann ich nicht beantworten, weil ich in den meisten Fällen mein Kind anders erzogen hätte. Ich bin keine Psychotherapeutin. Ich bin keine Sozialarbeiterin. Da verweise ich sie auch an Fachstellen.
Diese Abgrenzung ist wahrscheinlich wichtig?
Ja, die ist extrem wichtig! Es ist wichtig, dass man nicht jedes Kind, das Schwierigkeiten zu Hause hat, zu sich nachhause nimmt und es am liebsten adoptieren möchte, um ihm oder ihr eine bessere Chance, einen besseren Start zu ermöglichen. Ich finde, dass ich im Lauf der Jahre gelernt habe, auch irgendwann einen Punkt zu setzen und zu sagen: «Ich habe alles gegeben. Aber das betrifft mich nicht mehr.“ Das heisst nicht, dass ich diesen Jugendlichen nicht mehr mag, aber ich bin dafür nicht ausgebildet. Ich habe die Ressourcen nicht, ich habe die fachliche Vernetzung nicht.
Dieses Anerkennen deiner eigenen Grenzen ist auch ein Stück Selbstfürsorge, nicht wahr?
Absolut! Aber am Anfang der Lehrerinnenlaufbahn hat man das Gefühl, man könne die Welt retten. Während der Berufswahlphase merke ich das extrem. Bei uns in der Schweiz ist die Berufswahl Pflicht der Eltern. Die Verantwortung liegt also bei den Eltern und nicht bei der Schule.
Was ich machen kann, zeigen, wie man Bewerbungen, Motivationsschreiben und Lebenslauf verfasst. Und ich kann die Schüler:innen nur immer motivieren, eine Schnupperlehre zu suchen und sich dann zu bewerben. Aber früher habe ich gedacht, ich sei eine schlechte Lehrerin, wenn nicht alle Schüler:innen eine Lehrstelle finden. Inzwischen muss ich sagen: «Nein, da haben auch die Eltern Aufgaben.»
Neben der Berufswahl unterrichtest du auch Sprachen. Welches ist deine Lieblingssprache und gibt es da auch Lieblingsworte?
Ich habe eine Herzenssprache, das ist Italienisch und Italienisch ermöglicht mir- das habe ich sehr jung festgestellt – als Frau eine andere Seite auszuleben. Es ist die leichtere, sinnlichere Seite, die nicht so ernst und so hart zum Ausdruck bringen muss. Das Spannende ist, wenn ich längere Zeit wieder Italienisch spreche, dann wird meine Stimme höher und sie wird weicher. Da finde ich interessant!
Gibt es Lieblingsworte im Italienisch?
Alle Wörter mit diesem sonoren «dsch» (also Wörter wie spiaggia oder giacca, Anmerkung D.M.) mag ich. Und dann wieder das Weiche, das Sinnliche und Doppelkonsonanten, also Doppel- L, Doppel N (z.B. ombrello oder nonno). Aber so ein richtiges Lieblingswort habe ich nicht. Aber ich habe ein besonderes Wort, aber aus einem ganz anderen Grunde Das ist storicizzazione. Dieses Wort musste ich ganz, ganz lange üben, als ich an der Uni war und einen Vortrag halten musste. Bis ich dieses Wort endlich aussprechen konnte, dauerte es ein bisschen.
Kommt dein «Künstlername» Storiella aus dieser Zeit?
Ich weiss es nicht. Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich auf Storiella gekommen bin. Also «storia» heisst ja Geschichte und «storiella» ist ein Geschichtchen, das trägt eine gewisse Leichtigkeit und hat dieses «-ella», das ja mein Name auch hat. Und so ist das irgendwie entstanden.
Neben Italienisch finde ich übrigens – also im Unterricht – Deutsch etwas ganz Tolles! Eine grossartige Sprache!
Das ist überrascht mich! Was findest du am Deutsch so faszinierend?
Erstens, wenn man die Wörter anschaut, kann man ganz viel aus Wörtern rauslesen. Zum Beispiel «Pünktlichkeit»: Da kommt der Punkt vor. Das «-lich» ist das Zeichen für ein Adjektiv, die «-keit» für das Nomen. Oder man erkennt die Verwandtschaften von Wörtern. Aber abgesehen davon, man kann im Deutschunterricht einfach alles machen. Du kannst Slam Poetry verfassen und du kannst rappen, du kannst Literatur lesen, du kannst schreiben… Leider wird mein Leben als Lehrperson oder als Person allgemein viel kurz sein um all das auszuprobieren.
Ich habe gesehen, dass du ja auch mit deinen Schüler:innen bloggst. So cool! Steckt da eine tiefere Absicht dahinter?
Jein. Ich unterrichte an der dritten Sekundarstufe das Wahlfach «Schreiben». In ihrem letzten Schuljahr haben die Schüler:innen die Möglichkeit sich neben den obligatorischen Fächern einen eigenen Stundenplan zusammenzustellen. Als ich hier zu arbeiten begonnen habe, habe ich mit dem Wahlfach «Schreiben» begonnen. Das gab es früher nicht. Aber weil ich als Schreibberaterin an der pädagogischen Hochschule gearbeitet habe, dachte ich, dass ich da etwas von mir einbringen könnte. Ich habe in jedem Jahr etwas ausprobiert, aber das war nie ganz befriedigend, weil die Schüler:innen nicht so gerne auf Papier schreiben. Das entspricht heute auch ihrem Alltag nicht mehr so wirklich. Im April haben wir mit Bloggen begonnen und habe dabei so viel Energie und so viel Positivität erfahren! Und es ist einfach so schön! Man schreibt etwas. Man weiss schon, dass es nicht die ganze Welt liest, aber trotzdem stellt man es die Welt. Ich dachte, dass das für meine Schüler:innen cool sein könnte und deshalb blogge ich dieses Jahr mit ihnen. Und es ist genial! Sogar meine schwächsten Schüler:innen, die drücken sich aus, die haben was zu sagen.
Und es geht mir um den Inhalt. Sehr oft ist in der Schule das Scheiben mit Grammatik und Stilistik verbunden. Das will ich hier nicht. Ich will, dass sie erzählen, was sie zu erzählen haben. Das bedeutet auch, dass ich bei einigen recht viel überarbeite, weil sie sonst überfordert wären und die Freude verlieren würden. Aber sie sind so stolz, wenn etwas von ihnen dann gepostet wird und wenn sie einen Kommentar bekommen. Auch die Eltern übrigens! Am Elternabend habe ich von allen Schüler:innen einen Artikel gezeigt. Die Eltern waren hell begeistert. «Was das kann man mein Sohn? Das wusste ich ja gar nicht!»
Daneben haben die Lernenden die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in Medien und Informatik anzuwenden. Beim Thema «Urheberrecht» haben wir immer wieder Diskussionen, weil man nicht einfach Bilder klauen kann, obwohl das für die Jugendlichen normal ist. Und sie haben gelernt zu formatieren. Das war ganz toll! Ich konnte das nur sehr begrenzt, aber die Schüler:innen haben mir dann gezeigt, wie man Text auf die Bildchen bringt. Dafür wissen sie inzwischen, was ein Plagiat ist. Da gibt es ja entsprechende Software, dank der kann ich einen Text ausdrucken und beweisen, dass 98% eines Textes nicht ihrer ist. Die Antwort, dass doch Wörter geändert wurden, kontere ich damit, dass das eben nicht reicht. Aber vor allem geht es darum, dass die Jugendlichen Freude am Schreiben haben.
Bloggen gibt ihnen eine Präsenz, die sie sonst nicht hätten. Durch das Internet werden wir sichtbar. Habt ihr auch über die Gefahren gesprochen?
Ja, das begann bei den Bildern. Wenn man Bildern mit anderen Personen veröffentlicht, da stelle ich immer die Frage: «Hast du nachgefragt, ob du das publizieren darfst, also ob das ins Netz gestellt werden darf?» Sie dürfen selbst nichts veröffentlichen. Ich entscheide, ob der Text veröffentlicht wird oder nicht. Den Grund dazu haben wir dann auch angeschaut, Ich habe gesagt, dass ich mit meinem Namen dafür einstehe, also rechtlich gesehen den Kopf hinhalte. Ich glaube, sie haben auch den Unterschied zwischen persönlich und privat recht gut begriffen. Es gab zwei Texte, da hab ich nachgefragt, ob der Text wirklich veröffentlicht werden solle. Da fand ich, war so eine Grenze. Es handelte sich um ein Mädchen, das riesige Probleme mit den Eltern hatte und beschrieb, dass es zu Verwandten zog. Dann kam alles gut. Aber es waren wirklich die Frage: «Möchtest du das?» – «Ja, das ist wichtig für mich!»
Und der andere Grund fürs Bloggen ist, dass hier in der Schweiz der berufliche Erfolg vom Schreiben abhängt. Egal, welche Lehre du machst, ob du ins Gymnasium gehst – du wirst am Ende eine Vertiefungsarbeit schreiben, du wirst eine Maturaarbeit verfassen müssen. In Weiterbildungen musst du immer etwas Schriftliches abgeben. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, dass die Lernenden merken, dass sie schreiben können, dass sie etwas zu sagen haben, dass ihre Gedanken wichtig sind.
Die Blogs von Gabriella Raubers Schüler:innen findet man übrigens unter:
schreibenblog.wordpress.com
Du hast am Anfang gesagt, du hättest als Schreibberaterin gearbeitet, also an der PH eine Stelle als Schreibberaterin gehabt…
…Das ist nicht ganz korrekt. Ja, es stimmt und es stimmt nicht. Die PH Zürich hatte dank Monique Honegger als erste Hochschule der Schweiz ein Schreibzentrum. Während des Studiums konnte man nebenbei im Schreibzentrum arbeiten und die Ausbildung zur Schreibberaterin machen. Man musste sich bewerben und Monique hat mir gesagt, dass sie nicht nehmen wolle, weil sie schon jemand in meiner Altersklasse hatten. Zudem ginge es darum, das eigene Schreiben zu verbessern und nicht primär darum, Schüler:innen zu unterstützen. Ich habe gekontert, dass mir das egal sei. Ich wolle das machen. So habe ich rund 10 Jahre an der PH Zürich als als Schreibberaterin gearbeitet.
Was waren da deine Aufgaben?
Da kommen Texte rein von Studierenden und Dozierenden begleitet von drei Fragen, auf die man beim Text-Coaching achten soll. Dann liest du das und gibst eine Rückmeldung. In der offenen Sprechstunde kommen Studierende und Dozenten direkt mit den Texten vorbei und es geht eigentlich immer darum, ihnen einen nächsten Schritt zu zeigen oder sie auf Lücken aufmerksam zu machen. Das Tolle daran finde ich, dass es ihnen immer freisteht, was sie daraus machen wollen. Als Schreibberaterin bin ich nie beleidigt. Ich erinnere mich daran, dass ich selber mal im Fazit einer Arbeit fünfmal die Sätze gleich begonnen habe, weil mir diese Ausdrücke wichtig waren. Dazu habe ich die Rückmeldung gekriegt, das könne man anders formulieren. Ich habe das aber bewusst so formuliert. Und ich bin der Meinung, es ist das Recht der Schreibenden, sich gegen Tipps und Ratschläge zu entscheiden. Es ist ihr Text und sie wissen, warum sie etwas auf eine bestimmte Art formulieren.
Das ist so ähnlich wie bei der SEO-Analyse… Aber ich denke, du hast eigentlich den Leuten so ein Text-Bewusstsein vermittelt.
Ja. Während der Ausbildung mussten wir immer eigene Texte mitbringen, die wir dann gegenseitig coachten. Ich kann mich noch sehr gut, an den ersten Samstag erinnern.
Den Text, den ich gekriegt habe, den habe ich ziemlich zerrissen. Ich bemängelte, dass ich nichts verstehen würde und er schlecht aufgebaut sei. Der Text war von einem Literaturdozenten, und der hatte extreme Freude an meiner Kritik. Er hat gesagt, dass sich seine Studierenden vor lauter Ehrfurcht und Respekt nicht zu kritisieren trauen.
Ich denke, das ist etwas Wichtiges, dass man unvoreingenommen auf Texte losgeht. Dieser offene Blick, diese offene Wahrnehmung, was macht der Text mit mir? Was will er sagen und wie transportiert seine Message?
Ja. Ein Schüler hat einmal geschrieben «seitdem halte ich immer ein Öhrchen offen». Und es ist wunderbar, wie er eine Redewendung verändert! Er hat so klar ausgedrückt, was er mitteilen wollte. Er hörte nicht immer ganz genau hin, sondern nur mit einem Öhrchen. Während eines Seminars habe ich meinen Studierenden diesen Text mitgebracht. Sie fanden damals, es sei falsch, den Schüler:innen diese Freiheit und Kreativität zu lassen, Sprache «falsch» anzuwenden.
Das klingt spannend und ich merke, wie da wirklich auch ganz viel Herzblut dahintersteckt. Vom Selberschreiben, würde ich gern wechseln zum Texte konsumieren. Ich nehme mal an, du hast als sprachaffine Person bestimmt auch ein Lieblingsbuch. Gibt es so eines oder ist es gar eine ganze Zeile in einem Regal?
Im Moment lese ich eher weniger für mich persönlich. Meine Schüler:innen haben jeweils den Auftrag, ein Jugendbuch zu lesen und sie können dann entscheiden, ob sie ein Gespräch darüber führen möchten, einen Vortrag halten oder ein Dossier dazu verfassen. Aber das heisst, dass ich diese Jugendbücher auch lese, auch wenn ich sie schon gelesen habe. Das sind dann 35 Jugendbücher. Zum Glück liest inzwischen Sybille, die Schul-Assistentin, mit. Aber ich komme leider nicht mehr dazu, für mich zu lesen. Aber die Bücher von Andrea de Carlo, natürlich ein italienischen Autor, mag ich sehr. Ursprünglich habe ich seine Bücher gelesen, weil er mir so gefiel (lacht).
Eines davon ist «Uto». Es erzählt die Geschichte eines Jugendlichen, der zu einer religiösen Gruppe stösst und durch seine Aussensicht, vieles hinterfragt, Zweifel anbringt und das ganze System in Frage stellt. Aber dadurch auch seinen eigenen Weg findet. Dieser Roman hat einige Parallelen mit meinem Leben.
Das zweite Buch ist von Stefano Benni und heisst «Il bar sotto il mare». Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die mit der Sprache spielen. Da gibt es beispielsweise eine Geschichte über einen Schädling, der sich in Texten einnistet, und beginnt die Wörter zu verschieben. Du liest die Geschichte, irgendwann denkst du «Hä?» Der Satz stimmt so doch nicht … liest weiter … und du entdeckst, dass dieser Text bereits infiziert ist. Und es gibt noch viele Bücher mehr, die ich liebe …
Begleiten dich Bücher schon von Kindesbeinen an? Warst du eine Leseratte?
Mein Bruder und ich durften immer in die Bibliothek gehen. Wir hatten unsere Anzahl Bücher, die wir holen durften. Aber daran haben wir uns nie gehalten. Wir haben dann offiziell einige Bücher meiner Mutter gezeigt und die anderen, wie sichs gehört, unter der Bettdecke und im Versteckten gelesen. Meine Mutter hat allerdings alle Bücher gelesen, und so konnten wir darüber sprechen, was wir gelesen hatten.
An der Uni mussten wir sehr viel für den literarischen Akzess lesen. In meiner WG haben wir immer über diese Bücher diskutiert. Wir haben zum Teil sogar unsere Konflikte über Literatur ausgetragen, das war ganz lustig. Später habe ich dann einen Lesezirkel gegründet, weil ich gefunden habe, wenn du einen Film schauen gehst, findest du immer Leute, mit denen du darüber sprechen kannst. Aber wenn du ein Buch gelesen hast, bleibst du sehr oft einsam zurück. Darum lese ich auch mit meinen Schüler:innen Geschichten. Wir diskutieren und das finde ich etwas Wertvolles.
Deine bibliophile Familie hat dir eine reich bepackte Schatzkiste fürs Leben mitgegeben. Bücher haben oft auch etwas Tröstliches. Wie ein Mantel, der dich einhüllen kann, wenn es draussen kalt wird.
Genau. Und dann ist es so: Die guten Bücher, die kannst du in so verschiedenen Lebensphasen lesen. Sie sagen dir immer wieder etwas Neues, etwas Anderes. Und du denkst: Aber ich kannte doch die Geschichte! Warum ist das jetzt so? Das ist wirklich ein Reichtum, den wir zur Verfügung haben.
Ja, ich glaube, mit uns zweien haben sich zwei Bücher-Freundinnen getroffen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Sag mal, wie würdest du dich mit fünf Adjektiven charakterisieren?
Nur fünf (lacht)?
- authentisch
- begeisterungsfähig
- sympathisch
- «gwunderig», also neugierig also positiv gemeint, wirklich interessiert
- vernetzt und vernetzend
Begeisterungsfähig, hast du gesagt. Was würde dich so begeistern, das man dich dafür mitten in der Nacht aus dem Bett kriegt?
Für ein Konzert, das muss nicht jemand Spezielles sein. Aber U2 möchte ich immer noch mal sehen, aber die spielen ja nicht mitten in der Nacht…
Ich stand auch schon auf, als Nachbarn eine Feier veranstaltet und dann irgendwann um Mitternacht beschlossen hatten, dass es doch schön wäre, wenn ich auch noch dazu käme. Ja, klar bin ich da dabei – am liebsten ums Feuer mit einem guten Glas Rotwein.
Das sind die positiven Dinge. Aber ich würde auch aufstehen, wenn jemand in Not ist.
Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz auf deinen Claim «teamwork makes a dream work» zu sprechen kommen. Ich kenne ihn mit bestimmtem Pronomen, also «teamwork makes the dream work». Wie bist du auf deinen Claim gekommen?
Also es ist eigentlich kein richtiger, oder noch kein richtiger, Claim. Als wir bei Sympatexter die Aufgabe hatten, eine Startseite zu errichten, wollte ich etwas hinschreiben und habe mir überlegt: «Was zieht sich so wie ein roter Faden durch mein Leben?» Und das ist die Zusammenarbeit. Ich bin eine überzeugte Co-Konstruktivistin. Ich weiss, dass ich nur in Zusammenarbeit wirklich Grossartiges zustande bringe, sei das mit Schüler:innen, sei das mit anderen Lehrpersonen – egal mit wem.
Und so ist das dann entstanden. Die Überlegung damals war auch, dass ich mit Studierenden, mit Jugendlichen, mit Erwachsenen arbeite… Wie lässt sich das alles zusammenbringen? Ich finde, eben es ist nicht the dream. Ich habe nicht den Traum, sondern ich habe viele Träume! Einige verschwinden nach einer Zeit, weil sie realisiert wurden. Es kommen neue Ideen dazu. Es muss ja nicht der grosse Traum sein. Aber das Teamwork, das bleibt.
Also würdest du dich als Teamplayer bezeichnen?
(zögert) Ja… aber ich habe gerne die Führung (lacht). Also es ist dieses Zusammenspiel.. ich weiss nicht, wie man das nennen würde. Ja, ich bin ein Teamplayer. Ich bringe mich völlig ein. Ich weiss auch, was ich kann und wo meine Stärken, aber auch meine Schwächen liegen. Aber das finde ich, das gehört auch in ein Team.
Ja und das gehört auch zu Leadership: Dass du weisst, wo die Grenzen sind und wo du dich eben auf dein Team auch stützen und verlassen kannst. Ich erlebe das sehr ähnlich.
Das ist vor allem spannend, weil du eigentlich mit Kindern am anderen Ende der Skala arbeitest. Ich bin mit Kindern unterwegs, die schwach oder eher schwach sind. Und du arbeitest ganz am anderen Ende und das ist wunderbar zu erfahren, dass da ganz viele Thematiken absolut identisch sind.
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