Joëlle Huser hat eine eigene Beratungspraxis in Zürich und mit ihrem Buch „Lichtblick für helle Köpfe“ hat sie ein Standardwerk zur Begabungs- und Begabtenförderung geschrieben, das in jede Lehrerbibliothek gehört.
(Bild zVg, LMVZ, Fotograf Andreas Eggenberger)
Das Buch aus dem Lehrmittelverlag Zürich (LMVZ) wurde nach fast 20 Jahren überarbeitet und erweitert, ist im November 2021 beim neu erschienen und an der Swissdidac in Bern präsentiert worden. In diesem Rahmen führte Michael Krattiger ein interessantes Gespräch mit Joëlle Huser, das hier als Aufzeichnung zu finden ist.
Joëlle Huser hat den ECHA (European Council for high Abilities) -Lehrgang aus Nijmengen (NL) an die AEB (Akademie für Erwachsenenbildung) geholt. 2002 war sie meine Studienleiterin in diesem Lehrgang. Von ihrem immensen Engagement und Fachwissen haben auf diese Weise unzählige Kinder mit hohen Begabungen profitieren können.
In Ergänzung zu ihrem Interview im Kundenmagazin „Einblick“ des LMVZ stellte sie sich auf meine Anfrage freundlicherweise bereit, einige Fragen schriftlich zu beantworten.
Liebe Joëlle, du hast in der Schweiz Pionierarbeit im Bereich Begabungs- und Begabtenförderung geleistet. Mit welchen Schwierigkeiten, vielleicht auch Vorurteilen musstest du dich damals auseinandersetzen? Hat sich diesbezüglich etwas geändert?
Das Klasssenüberspringen war und ist immer noch bei vielen Lehrpersonen und Eltern eine Massnahme, die auf grossen Widerstand stösst. Dies obwohl diese Massnahme zu den am besten erforschten gehört mit den besten Resultaten. Nicht nur von der Leistung her, sondern auch im emotionalen Bereich – und das auch langfristig. Es wäre wünschenswert, dass sich die Erkenntnisse der Forschung auch in der breiten Praxis niederschlagen.
Wenn Eltern bei ihrem Kind eine Hochbegabung vermuten – was würdest du ihnen als wichtigsten Tipp mitgeben?
Holen Sie sich rechtzeitig bei Schwierigkeiten Hilfe. Diese sollten Sie aber bei einer Fachperson holen, die auf das Thema spezialisiert ist. Klären Sie, ob Ihr Kind auch hochsensibel ist und allenfalls perfektionistische Tendenzen hat. Sollte dies zutreffen, ist eine wohlwollende und feinfühlige, erfahrene Lehrperson überaus zentral. Auch das schulische Umfeld muss dann stimmen.
Inwiefern hat sich dein Tätigkeitsfeld in den letzten Jahren verändert?
Ich habe meine Tätigkeit ausgeweitet und arbeite heute etwa zur Hälfte mit Erwachsenen und zur Hälfte mit Kindern. Durch viele Weiterbildungen in Hypno- Therapie und PEP (Prozess und Embodimentfokussierte Psychologie) habe ich meinen Horizont erweitert. Damit helfe ich Kindern und Erwachsenen, Ängste und Blockaden abzubauen, so dass sie ihr Potenzial besser entfalten können. Ich coache auch Führungspersonen, die für ihre Psychohygiene regelmässig etwa ein bis zwei Mal pro Monat zu mir kommen. Seit zwei Jahren hüte ich zudem regelmässig während eineinhalb Tagen pro Woche meine Enkelkinder, was mich sehr beglückt.
Wie erholst du dich nach vollbepackten Tagen?
Oft lese ich am Abend bei klassischer Musik, schaue auch mal gerne einen guten Film an oder spiele mit meinem Mann Rummikub, Top Words oder etwas anderes.
Was würdest du als deine wichtigste Charaktereigenschaft bezeichnen und inwiefern hilft dir diese bei deiner Arbeit?
Ich kann mich sehr gut in andere einfühlen, bin spielfreudig und lernbegierig. Um meine Lernfreude zu befriedigen, besuche ich regelmässig viele Weiterbildungen und setze meist das Gelernte gleich in der Praxis um.
Wie können wir die Resilienz schon bei jungen Kindern fördern?
Schon das kleine Kind beobachten und «lesen» lernen. So kann es früh in seinem Wesen erkannt und in seinen Stärken anerkannt werden. Wir können dem Kind über die Sprache den Zugang zu seinen Emotionen eröffnen. Das kann zum Bespiel heissen, dass man das frustrierte Kind etwa mit diesen Worten würdigt: «Ich sehe, dass du ganz schön wütend bist, dass du nun nach Hause kommen musst, das kann ich verstehen.» Und dann – wenn es Sinn macht – bei der Ansage bleibt, die man gemacht hat. Mit dem Kind besprechen, wie es mit der eigenen Wut oder Trauer umgehen kann. Wobei das Vorbild von uns Erwachsenen dabei zentral ist. Weiter ist für die Resilienz wichtig, den Kindern auch eigene Problemlösungen zuzumuten und ihnen nicht alle Stolpersteine aus dem Feld zu räumen. Aus der Forschung ist zudem bekannt, dass der Glaube an eine höhere Macht, ob Gott, Engelwesen oder etwas ganz anderes sehr hilfreich sein kann, um Krisen gut zu bewältigen.
Hast du ein übergeordnetes Anliegen, von dem du denkst, dass sich die Menschen vermehrt darüber Gedanken machen sollten?
Ja, ich denke, dass es Sinn macht, sich bewusst zu machen, dass alles endlich ist.
Unsere Lebenszeit ist beschränkt. Um voll und bewusst zu leben, tut es gut auch über den Tod nachzudenken und mit anderen darüber zu sprechen.
Liebe Joëlle, ich danke dir von ganzem Herzen dafür, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast!