Die Powerfrau Renate Grüter–Egli hat mich kontaktiert, als sie als Mutter von vier sehr intelligenten Kindern meine Einschätzung bezüglich eines Kindes wollte. Selber Lehrerin und mit der Materie vertraut, konnte ich ihr durch meine Aussensicht bestätigen, dass ihre Einschätzung richtig waren. Ich bin beeindruckt, wie adäquat und einfühlsam das Elternpaar Grüter–Egli mit seinen Kindern unterwegs ist. Die Familie entspricht in weiten Teilen meiner Beschreibung von ganz normalen Hoch-Potenzial-Familien.
Zudem ist Renate Grüter–Egli mittlerweile Studentin am CAS iBBF an der pädagogischen Hochschule Luzern. An diesem Studiengang arbeite ich als Dozentin mit. Seit dem Frühling hat sie parallel dazu den Masterstudiengang an der Fachhochschule Nordostschweiz in Muttenz BL begonnen.
Meine Fragen hat sie für euch wie folgt beantwortet:
Wie bist du auf das Thema Hochbegabung gekommen?
Mein zweitgeborenes Kind war immer sehr aufgeweckt und in vielen Belangen anders als z. B. unsere Nachbarskinder. Für mich war das nicht gross alarmierend. Es war einfach so und ich hatte Spass an dieser Herausforderung. Spätestens vor dem Beginn des Kindergartens mit ca. 4 Jahren merkte ich, dass der Junge locker eingeschult werden könnte. Parallel dazu kam, dass er verhaltensauffällige Muster entwickelte, welche mich als Mutter immer auf Trab hielten. Seither lese ich Bücher, begleite meine Familie, bei der inzwischen klar ist, dass das Thema Hochbegabung bei mehreren Mitgliedern präsent ist. Wir leben damit. Mal mit Hochs, mal mit Tiefs.
Welche Knackpunkte siehst du für Familien mit hochbegabten Kindern?
Einerseits ist die schulische Situation ein Dauerbrenner, da das Schulsetting oft nicht der Denk- und Handlungsweise von hochbegabten Kindern entspricht. Oft stelle ich fest, dass sich die Kinder auswärts übermässig anpassen und man dadurch nur schwer an ihren Kern herankommt.
Der zweite Knackpunkt in unserer Familie ist die erhöhte Sensibilität, welche uns begleitet. Z. B. ist die Bekleidung bis ins Primarschulalter eine Herausforderung. Socken, Hosen müssen bequem sein, keine Grössenetiketten dran haben und lange Hosen sind eigentlich bis November tabu, weil diese drücken und ziepen. Doch was dies anbelangt, wird man mit den Jahren cooler als Eltern und lässt die Kids halt so herumlaufen.
Der Schlafbedarf ist seit dem Kleinkindalter enorm tief. So wechseln wir uns als Eltern oft ab, wer die letzten ins Bett bugsiert und wer morgens übernimmt. Inzwischen wird dies weniger, da die Kinder doch auch älter und selbständiger werden.
Müssen hochbegabte Kinder abgeklärt werden, um in der Schule das Recht auf adäquate Förderung zu erhalten?
Nein, finde ich nicht. Jedes Kind hat das Recht, mit seinen Stärken und Begabungen ernst genommen, gesehen und gefördert zu werden, mit oder ohne Hochbegabung. Doch in der Erfahrung zeigt sich, dass bei diesem Thema noch viele Unsicherheiten bei Eltern und Pädagogen bestehen. Da ist es oft sinnvoll, zu diagnostizieren, damit klarer wird, wie das Stärkenprofil tatsächlich aussieht und das Kind gezielt gestärkt werden kann.
Wie sähe deine Traumschule aus?
In meiner Traumschule gibt es grosse, helle Arbeits- und Spielräume für die Lernenden, auch ein Garten darf nicht fehlen. Pulte gäbe es grundsätzlich nicht, jedoch können Arbeitstische oder Lerninseln zum Schreiben geschaffen werden. Die Lehrpersonen sind Lernbegleiter, nicht Wissensvermittler. Fragen entstehen beim Handeln, werden aufgegriffen und die Interessen der Kinder aus der Situation aufgegriffen. In meiner Traumschule sitze ich oft mit den Kindern auf dem Boden, spiele und diskutiere mit ihnen. Ich stelle Fragen, welche die Kinder zum Denken anregen. Wir lachen viel zusammen. Ja, meine Traumschule begegnet dem Menschen oft auch mit Humor.
Kürzlich habe ich mal ein Semester lang nach dieser Idee mit einer Klasse gearbeitet und habe dies «Pilotenschule» genannt. Es war eindrücklich, was mit den Menschen dabei passiert ist. So fällt mir beispielsweise ein Mädchen ein: Sie war eine eher minimalistische «Arbeiterin», welche mich total überraschte. Nach einiger Zeit in der Pilotenschule stellte sich bei ihr das Interesse und die Lust zum Lernen ein. Sie kam dann tatsächlich vor Schulbeginn ins Zimmer und fragte: «Darf ich bereits jetzt schon mit dem Arbeiten beginnen?» Da treibts mir dann schon fast ein Freudentränchen in die Augen.
Das ist eine sehr schwierige Frage, welche ich nicht gut allgemein beantworten kann. Es hängt vom Charakter der Hochbegabten ab, aber auch von der Familienkonstellation. Doch gemeinsam haben sicher alle: Steht zu eurem Anderssein als Familie! Egal, was andere denken. Hochbegabten-Familien gehören nie dem Mainstream! Tönt einfach, es ist aber nicht einfach auszuhalten, dass man anders tickt. Steht für eure Bedürfnisse als Familie ein und sucht Lösungen, welche für EUCH und EURE Kinder stimmen.
Bei Unsicherheiten empfehle ich, eine Fachperson beizuziehen, welche euch in schwierigen Abschnitten begleitet. Wählt nicht irgendjemanden. Achtet darauf, dass die Fachperson eine Ausbildung im Bereich Hochbegabung hat. Die Begleitung der Fachperson schätze ich sehr. Oftmals kenne ich die Lösung selbst, doch werde ich durch den Austausch und das Gespräch der Fachperson gestärkt. Dadurch bin ich in der Kraft für den nächsten Schritt. Sind die Eltern in der Kraft, so sind es auch die Kinder. Damit bieten wir Erwachsenen den Kindern einen sicheren Hafen.
Hast du aktuelle Spieletipps für Familien, evt. auch mit Altersempfehlungen?
Ab 4 Jahren
- Logigeister, Ravensburger
Ab 7 Jahren
- Geistesblitz junior, schnelles Familienspiel
- HiLo, Schmidtverlag, Kartenspiel
Ab 9 Jahren
- Harry Potter, Kampf um Hogwarts, Kosmos Verlag, kooperatives Spiel, besonders für Jungs
- Der Kartograph, Roll and Play- Game, Kennerspiel
- Andor, Kosmosverlag, kooperatives Spiel
- Splendor, Handelsspiel, Nominiert zum Spiel des Jahres 2014
- Welcome to your perfect Home, Roll and Play-Game, Cooles Vintage-Design
Und ja… wir lieben JASSEN. Dies kann auf diversen Levels gespielt werden und ist ein Stück Schweizer Kultur.
Ich finde die «ThinkFun»-Games ganz toll. Diese Spiele können alleine gespielt werden und machen Lust zum Knobeln und Nachdenken. Das neueste Spiel «CircuitMaze» kann ich wärmstens empfehlen. Es handelt sich um den Stromkreislauf. 3 Batterien und Sie haben eine Stunde Ruhe!
Wie sollen sich Eltern verhalten, wenn sie das Gefühl haben, ihr Kind sei hochbegabt?
Beschafft euch vielleicht den untenstehenden Elternratgeber! Dies war mein erstes offizielles Fachbuch im Bereich der Hochbegabung. Beim Lesen gingen mir die Augen auf und mir wurde klar, dass wir uns als Familie irgendwie auf den Weg machen müssen. Es ergibt Sinn, dann mit einer Begabungsfachfrau Kontakt aufzunehmen.
Hast du Buchtipps für Eltern?
«Hochbegabte Kinder», das grosse Handbuch für Eltern, James T. Webb, hogrefe
Erzähl uns bitte vom Konzept für «deine» Schule.
An unserer Schule arbeiten wir neu mit dem Vier-Säulen-Modell, VSM. Dies beinhaltet:
Säule 1:
Ein Lerncoaching für Hochbegabte oder Kinder mit speziellen Begabungen. In anderen Schulen nennt sich dies Pullout, bei uns ist die Begleitung der Kinder enger, über den Schulalltag verteilt.
Säule 2:
Ressourcenraum. Dort können Lehrpersonen Spiele für ihre Klassen ausleihen. Kinder dürfen dort Ressourcenkisten zu verschiedenen Themen holen. Die Kisten sind so aufgebaut, dass die Lehrperson möglichst nichts erklären muss und die Kinder sich autodidaktisch damit beschäftigen können.
Säule 3:
Klassenraum. Dies ist eine jährige Erlebnis-Oase zu einem speziellen Thema. Jede Klasse verlegt ihren Unterricht während min. einer Schulwoche pro Jahr in diesen Raum. Experimentieren, handeln, «fuuschte» (ausprobieren), entdecken, erleben. Eine Förderung und Erlebnis für alle Lernenden unserer Schule.
Säule 4:
Coaching und Beratung der Lehrpersonen. Die Fachfrau Begabung ist Ansprechperson zum Thema Begabungsförderung, berät Lehrpersonen zu einzelnen Schüler:innen und kann auch mal zum Team Teaching in die Klasse geholt werden.
Seit Anfang August arbeite ich in einem fixen Arbeitspensum an unserer Schule für dieses Umsetzungsprojekt. Absolut toll, dies entwickeln und begleiten zu dürfen und definitv Teil meiner Traumschule!
Liebe Renate, ich danke dir ganz herzlich für deine spannenden Ausführungen und denke, dass ganz viele Interessierte davon profitieren können!