Familie mit Büchern

Ist es normal, hochbegabt zu sein?

Gestern erreichte mich die Anfrage einer Followerin, die irritiert ist, weil sie feststellt, dass das, was sie in Ratgebern über hochbegabte Kinder liest, für sie eigentlich total normal ist. Stellt sich natürlich die Frage, was denn «normal» ist.

Hochbegabung ist vererbt

Hochbegabung ist vererbt, daran zweifelt mittlerweile niemand mehr. Die aktuelle Forschung geht dabei von ca. 50 % Vererbung aus. Der Rest teilt sich auf in ein herausforderndes, motivierendes Umfeld (ca. 30 %) und dem lebenslangen Lernen (20 %).

Eigentlich bewahrheitet sich auch hier, was die Grossväter schon wussten: Männer sollten sich genau überlegen, mit welcher Frau sie Kinder haben wollen. Wissenschaftliche Studien ergeben nämlich, dass Kinder ihre Intelligenz überwiegend von ihrer Mutter erben.

Intelligenz sitzt auf den X-Chromosomen

Das hat zwei Gründe: Einerseits befinden sich die Intelligenz-Gene hauptsächlich auf den X-Chromosomen. Davon haben Frauen zwei, während Männer je ein X- und ein Y-Chromosom besitzen. Somit ist es doppelt so wahrscheinlich, dass die Frau ihre Intelligenz-Gene an das Kind weitervererbt wie der Erzeuger.

„Konditionierte Gene“

Der zweite Grund ist folgender: Forscher haben entdeckt, dass manche Gene „konditioniert“ sind. Einige funktionieren nur, wenn sie von der Mutter stammen, andere nur, wenn sie vom Vater kommen. Das jeweils andere Gen wird dann deaktiviert. Offenbar sind diejenigen Gene, welche die Intelligenz bestimmen, auf die mütterlichen Gene konditioniert. Hingegen sind beispielsweise die Gene für Emotionen und Intuition auf die väterliche Seite konditioniert.

In einer Langzeitstudie hat die Medical Research Council Social and Public Health Sciences Unit in Glasgow 12′ 686 junge Menschen zwischen 14 und 22 Jahren untersucht. Seit 1994 wurden sie jährlich interviewt. Weiter wurden verschiedene Faktoren wie der IQ der Mutter, Hautfarbe, Ausbildung oder sozio-ökonomischer Status berücksichtigt. Tatsächlich stellte sich von den untersuchten Faktoren der IQ der Mutter als bester Prädikator für die Intelligenz eines Menschen heraus.

All diesen Ausführungen zum Trotz hoffe ich, dass sich all die cleveren jungen Frauen gut überlegen, wessen Gene sie ihren Kindern zumuten wollen.

Hochbegabung in der Kernfamilie

Wird ein Kind in eine Familie hineingeboren, in der die Eltern und das Umfeld bildungsnah sind und es normal ist, dass man sich in einer adäquaten Sprache unterhält, erhöhen sich die Chancen, dass das Kind lernt, sich ebenfalls gut ausdrücken.
Mag sein, dass dies den Eltern gar nicht auffällt. Vielleicht sind es die Kita-Leiterin oder die Kinderärztin, die über das Wissen oder die Sprachgewandtheit des Kindes staunen. Oder die Nachbarin auf dem Spielplatz bleibt sprachlos zurück, weil der eigene Sprössling noch nichts über Atomkraftwerke weiss. Muss er ja auch nicht. Aber es mag für Aussenstehende schon fremdartig wirken, wenn die Vierjährige erklärt: „Der Papa sollte jetzt nach dem Spaziergang nicht noch draussen in der Kälte rumstehen und mit dir reden. Er ist nämlich rekonvaleszent.“

Förderbedarf

Bei jungen Kindern ist es wichtig, dass man „nahe dran“ bleibt. Das heisst, dass man gut hinschaut, was die Kleinen gerade beschäftigt, was ihre „Zonen der nächsten Entwicklung“ sind.
Mein älterer Sohn beispielsweise hatte das unheimliche Glück, so einen Patenonkel an seiner Seite zu haben. Der kaufte ihm nicht nur die heiss gewünschten Spezialteile für die Holzeisenbahn, sondern stellte ihm auch gleich ein Werkzeug-Kit zusammen, damit die abgebrochene Steckverbindungen gemeinsam wieder repariert werden konnten. Später goss er mit ihm Drachen aus Zinn in unserem Feuerloch im Garten oder half ihm, das passende Teleskop für die ersten astronomischen Betrachtungen auszuwählen (wofür das Kind zwei Jahre lange auf sämtliche Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke verzichtet hatte). Solche Menschen sind ein Geschenk! Sie ersetzen aber selbstverständlich nicht aufmerksame nahe Bezugspersonen, die tagtäglich um das Kind herum sind.

Offene Spielanlagen

Wer sein Kind fördern will, tut gut daran, die Umgebung nicht zu überreizen. Schon gar nicht mit Bling-Bling-Spielen und – Entschuldigung! – Elektroschrott. Kinder haben eine blühende Fantasie, es gelingt ihnen aus wenig viel zu machen. Und wenn dabei aus einem Stock ein Gewehr wird, dann ist das halt so. Im Spiel wird verarbeitet, im Spiel wird gelernt. Wir berauben Kinder ihrer Kreativität, wenn wir ihnen alles vorgefertigt auf dem Tablett servieren. Und deshalb bin ich auch vehement dagegen, wenn Eltern meinen, sie müssten ihrem Sprössling schon möglichst bald ein iPad in die Finger drücken, „damit es lernt, mit Medien umzugehen“. Junge Kinder müssen basale Stimulation erfahren, müssen mit ihren Händen im Matsch wühlen, mal in einen Bach fallen oder im Laubhaufen herum purzeln. Das sind Dinge, welche Nervenbahnen stimulieren und Sinnesanreize bieten – viel mehr, als dies jede kalte Glasoberfläche eines Tablets je kann.
Natürlich soll das nicht heissen, dass die heiss gewünschte Barbie oder Bo-Katan Kryze aus Star Wars nicht auf dem Gabentisch liegen dürfen. Stapelt sich aber solches Spielzeug ungenutzt in den Gestellen, ist es definitiv Zeit, über Sinn und Unsinn solcher Anschaffungen nachzudenken. Inputs, was man mit cleveren Kids in der Freizeit anstellen kann, habe ich auch hier zusammengestellt.

Bücher

In vielen GNHP-Familien sind Bücher vorhanden. Meist viele Bücher. Die allermeisten dieser Erwachsenen lieben es, Kindern vorzulesen. Und da Kinder durch Vorbilder lernen, werden sie automatisch auch lesen lernen wollen. So einfach geht Lernen.

Fazit: Hochbegabung ist durchaus normal – je nach Umfeld

Je nachdem, in welches Umfeld ein Kind hineingeboren wird, kann es durchaus «normal» sein, IQ-mässig in anderen Sphären zu schweben. Normal orientiert sich an der Bezugsnorm. Und so lange diese die engere und weitere Verwandtschaft ist, ist es voll okay und eben «normal», so zu sein, wie es eben ist.
Dass dieses Selbstverständnis, okay zu sein, wie man eben ist, möglichst lange anhält, können Eltern und Bezugspersonen ihren Teil beitragen.

Aussagen (vorzugsweise von wohlmeinenden Grosseltern) im Sinne von „Was bist du für ein schlauer Kopf“ oder „Du bist ja so was von talentiert“ tragen dazu bei, dass das Kind diese Attribute verinnerlicht und damit unter Druck gerät. Je nach Typ kann es gut sein, dass sich das Kind aus Angst zu versagen, kaum mehr traut, neue Dinge in Angriff zu nehmen. Viel wichtiger ist, die Bemühungen des Kindes zu erwähnen: „Ich habe gesehen, wie sehr du dich bemüht hast, die Apfelschnitze gleichmässig zu schneiden.“ Oder: „Wie fröhlich die Figuren auf deiner Zeichnung lächeln“, statt: „“Super schön gemalt!“.

Abgesehen davon, mit welchen intellektuellen Voraussetzung ein Kind auf diese Welt kommt, wünsche ich allen jungen Erdenbürgern, dass sie Eltern und Bezugspersonen finden, die sie uneingeschränkt lieben und akzeptieren. Denn nur so können sie ihre Anlagen und Fähigkeiten zum Leuchten bringen, damit es in Zukunft wieder heller auf unserer Welt wird.


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