Warum manche Kinder sich jeder Anforderung entziehen – und was das mit Hochbegabung zu tun haben kann
Kennst du das? Ein Kind, das unglaublich kreativ, schlagfertig und intelligent ist – aber wenn es darum geht, auch nur die kleinste Bitte oder Anweisung zu befolgen, entsteht ein Machtkampf? Vielleicht hast du ein Schulkind, das exzellent diskutieren kann, aber einfach nicht in die Schuhe schlüpfen möchte? Oder ein hochbegabtes Kind, das sich in ein fantasievolles Rollenspiel flüchtet, statt die Hausaufgaben zu machen? Wenn sich Alltagssituationen ständig wie ein strategisches Schachspiel anfühlen, dann könnte Pathological Demand Avoidance (PDA) eine Erklärung sein.
In diesem Artikel erfährst du, was PDA ist, warum es so herausfordernd sein kann – und warum es besonders in Kombination mit Hochbegabung oft falsch verstanden wird.
Was ist PDA?
Pathological Demand Avoidance (PDA) ist eine relativ neu „entdeckte“ Ausprägung von Autismus, die durch eine extreme Vermeidung von Anforderungen geprägt ist. Dieses „pathologische Vermeiden von Anforderungen des Alltages“ als „Verhaltensstörung“ ist im DACH-Raum relativ unbekannt. Dabei geht es nicht nur um klassische „Widerwilligkeit“, sondern um ein tiefgehendes psychologisches Bedürfnis, jegliche Kontrolle über das eigene Handeln zu behalten. Es unterscheidet sich damit deutlich von der herkömmlichen Prokrastination, also der „Aufschieberitis“.
Typische Merkmale von PDA
- Das Kind meidet Anforderungen systematisch – egal ob es sich um Hausaufgaben, Alltagsaufgaben oder Freizeitaktivitäten handelt.
- Die Vermeidung ist oft kreativ: Diskussionen, Ablenkungsmanöver, Rollenspiele oder scheinbare Zustimmung, gefolgt von passivem Widerstand.
- Plötzliche intensive Gefühlsausbrüche, wenn der Druck zu gross wird.
- Soziale Anpassungsfähigkeit, die oft täuscht: PDA-Kinder wirken in manchen Situationen sozial versiert, aber das dient oft nur dazu, Kontrolle zu behalten. Man nennt dies auch „Maskieren“.
- Hohe Sensitivität gegenüber Autorität und Erwartungen anderer.
Was PDA von anderen Autismusformen unterscheidet, ist die fast strategische Art der Vermeidung. Während klassische Autist:innen oft rigide Routinen haben, um Sicherheit zu gewinnen, kämpfen PDA-Kinder gegen äusseren Druck, um selbst die Kontrolle zu behalten. Diese Kontrolle ist für sie (und ihr Nervensystem) von existenzieller Bedeutung. Gelingt dies nicht, folgt ein Zusammenbruch, neudeutsch „Meltdown“, der gravierende, langandauernde Folgen haben kann.
PDA und Hochbegabung: Eine explosive Mischung?
Viele hochbegabte Kinder stellen ohnehin gerne Regeln infrage, sind kritische Denker:innen und haben eine geringe Frustrationstoleranz gegenüber unfair empfundenen Regeln. Doch was passiert, wenn Hochbegabung auf PDA trifft? Dann kann die klassische Vorstellung des „kooperativen Musterschülers“ schnell ins Wanken geraten. By the way: Diesen gibt es eh nur ganz selten.
Warum Kinder mit PDA und Hochbegabung oft nicht erkannt werden
Es gibt zwei Arten von PDA-Menschen: hoch- und höchstbegabte sowie durchschnittlich begabte. Die unten aufgezählten Merkmale sind alles Folgen der hohen Intelligenz, die quasi das Nervenkostüm der PDA-ler schützen will und sie laufen total unwillkürlich ab. Es ist also nicht so, dass das Kind diese Verhaltensweisen geplant einsetzt!
- Sie wirken „zu clever“, um autistisch zu sein: Weil sie oft wortgewandt, charmant und kreativ sind, wird PDA häufig übersehen.
- Ihr Widerstand wird als Trotz oder Manipulation missverstanden: Erwachsene denken oft, das Kind „könne doch, wenn es wollte“ – und übersehen die dahinterliegende Angst oder Reizüberflutung.
- Sie entwickeln ausgeklügelte Strategien zur Vermeidung: Hochbegabte PDA-Kinder finden oft besonders raffinierte Wege, um Anweisungen zu umgehen, z. B. durch überzeugende Argumentationen oder humorvolle Ablenkung.
- Profis im „Maskieren“. Bereits junge Kinder zeigen vor allem ausserhalb der Familie enorm hohe Anpassungsleistungen. Dieses Maskieren läuft unbewusst ab und ist im Stammhirn angesiedelt. Darum sind auch schon ganz junge Kinder, ja sogar Babies!, dazu fähig.
Wie zeigt sich PDA bei Kindern mit Hochbegabung?
- Das Kind hat eine unglaubliche Fantasie und Erfindungsreichtum, um Anforderungen zu entkommen.
- Perfektionismus und Angst vor dem Scheitern können Vermeidungsverhalten verstärken.
- Diskussionen und Verhandlungen werden oft als Sport betrieben – nicht, um zu provozieren, sondern um Kontrolle zu behalten.
- Sie können sich plötzlich in komplette Starre oder Panik versetzen, wenn der Druck zu hoch wird.
Was können Eltern und Lehrpersonen tun?
Wenn du mit einem hochbegabten PDA-Kind zu tun hast, wirst du feststellen: Konventionelle Belohnungs- und Bestrafungssysteme funktionieren nicht. Strenge Regeln, Drohungen oder Strafen führen nur zu mehr Widerstand. Stattdessen helfen:
1. Indirekte Formulierungen nutzen
- Statt: „Zieh bitte deine Schuhe an!“
- Besser: „Ich frage mich, welche Schuhe du heute wählen wirst.“
2. Deklarative (erklärende) Sprache
- Statt: „Räum bitte dein Zimmer auf!“
- Besser: “ Puh, hier sieht es ziemlich chaotisch aus. Also ich könnte hier nicht gut arbeiten.“ (Beispiel von mark.my.thoughts)
2. Spielerische Elemente einführen
- PDA-Kinder lieben Rollenspiele. Wenn das Zähneputzen als „Mission für den Superagenten“ inszeniert wird, steigt die Kooperationsbereitschaft.
3. Entscheidungsfreiheit bieten
- „Möchtest du zuerst die Hausaufgaben machen oder zuerst 10 Minuten spielen?“
- „Willst du deine Jacke oder deinen Pullover anziehen?“
4. Stress reduzieren und Druck rausnehmen
- PDA-Kinder reagieren sensibel auf subtile Drucksignale. Ein „Jetzt musst du aber wirklich…“ wird mit grosser Wahrscheinlichkeit massiven Widerstand auslösen.
5. Empathie zeigen statt Machtkämpfe führen
- „Ich sehe, dass du gerade nicht kannst. Sollen wir eine kurze Pause machen?“
- „Das sieht schwierig für dich aus. Wie kann ich helfen?“
Fazit: Kontrolle, aber mit Feingefühl
Kinder mit PDA und Hochbegabung sind weder „ungehorsam“ noch „manipulativ“, sondern sie haben eine tiefe Angst vor Kontrollverlust. Je mehr sie das Gefühl haben, selbst Entscheidungen zu treffen, desto besser funktioniert der Alltag.
Für Eltern und Lehrpersonen bedeutet das: Flexibilität, Geduld und eine Prise Kreativität können Wunder wirken. Es lohnt sich, die Perspektive zu wechseln: Anstatt gegen den Widerstand zu kämpfen, kann man lernen, gemeinsam mit dem Kind Umwege zu finden. Denn letztendlich ist auch das ein Zeichen von Intelligenz: Probleme nicht frontal, sondern strategisch zu lösen. 😉