Warum Bücher bei Hochbegabung die Beratung nicht ersetzen können

Wieso ich zum Thema Hochbegabung zwar Bücher empfehlen kann, aber eine konkrete Beratung für zielführender halte, erläutere ich in diesem Blogbeitrag.

Bücher im Regal
Ein Regal voller Bücher über Begabtenförderung

Weder Beratung noch Bücher

Wenn ich an meine erste bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema Hochbegabung denke, kommen mit als erstes die vielen Vorurteile, die ich zu hören bekam, in den Sinn. Das Thema hat mich natürlich aufgrund meiner Biografie immer schon interessiert. Eigentlich wollte ich ja 1995 die ECHA-Ausbildung machen, die Joëlle Huser in die Schweiz gebracht hat. Aber dann wurde ich schwanger und der Fokus verlagerte sich. Allerdings nicht für lange. Zwar ignorierte ich recht erfolgreich die Hinweise des Kinderarztes, der meinte, ich hätte da ein besonders vifes Kerlchen als Sohn. Doch der Erziehungsalltag forderte mich stark. Das stellte ich vor allem fest, wenn ich die Erzählungen von Müttern mit Gleichaltrigen hörte. Keine von ihnen hatte ein Kind, das mit 12 Monaten schon von „ich“ sprach, wenn es etwas wollte. „Ich will…“ war bei uns sehr präsent. Keine andere Mutter musste ihrem Dreijährigen die Währungen anderer Länder erklären. Auf dringende Empfehlung des Kinderarztes machten wir mit Sohn Nr. 1 eine Potenzial-Evaluation bei Ulrike Stedtnitz, als er vier Jahre alt war. Viel zu früh, würde ich heute sagen. Das anschliessende Gespräch war zwar interessant, hat uns aber für den Alltag und den Kindergarten nicht so viel gebracht. Nun, jedenfalls hatte der Pädiater recht – der IQ lag weit über der magischen Grenze von 130. Aber Beratung für den Familienalltag gab auch hier nicht wirklich. Ich fühlte mich mit meinen Fragen allein.

Mamma kauft Bücher

Ich bin eine Leseratte und packt mich ein Thema, dann will ich dazu alles wissen. Das heisst auch, dass ich Bücher en masse kaufe, wenn es sie denn gibt. Ziemlich ernüchtert stellte ich bald fest, dass es wenig Literatur Hochbegabung gab. Schon gar keine auf deutsch. Und die Bücher, die vorhanden waren, deckten meine Bedürfnisse nicht ab. Howard Gardners „kreative Intelligenz“ war mir zu wissenschaftlich und hatte nichts mit meinem Kind zu tun. Leider steckte das Internet damals noch in seinen Kinderschuhen und so entdeckte ich Joseph Renzullis Publikationen, vor allem das hilfreiche Praxisbuch „The schoolwide enrichment model“ erst später in meiner Ausbildung zur Spezialistin für Begabungs- und Begabtenförderin. Aber ich erinnere mich noch an das befreiende Gefühl, als ich Joëlle Husers Buch „Lichtblick für helle Köpfe“ zum ersten Mal in den Händen hielt und durchblättern konnte! Endlich schrieb da jemand so, dass ich es verstand! Und im Umkehrschluss hatte ich das Gefühl, verstanden zu werden. Gerade jetzt ist übrigens nach 20 Jahren eine Neuauflage dieses Standardwerkes erschienen – es ist ergänzt und aktualisiert worden und für den Einstieg ins Thema nicht zu überbieten.

Und noch mehr Bücher

Nur kurze Zeit später schien das Thema ein Hype zu werden, die Buchhandlungen waren voll mit neuer Literatur, und ich deckte mich mit so ziemlich allen Büchern, die zum Thema Hochbegabung auf den Markt kamen, ein. Hochbegabung wurde salonfähig, wenigstens in den Buchhäusern. Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass mir als Mamma die wenigsten eine Hilfe waren. Unterdessen sind neben dem erwähnten „Lichtblicke“ doch noch ein paar erschienen, die ich für Eltern, die sich ins Thema einlesen möchten, empfehlen kann.
Zwei davon möchte ich hier erwähnen:
Das eine ist eine schmale Broschüre der dghk e.V. (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind) mit dem Titel „Alltag mit hochbegabten Kindern: Ein Wegweiser„. Das andere heisst „mit intelligenten Kindern intelligent umgehen“.
Weitere finden sich hier.

Viele Bücher, doch keine Beratung

Durch die Ausbildungen im Bereich Begabtenförderung habe ich jahrelang so ziemlich alle Bücher und Publikationen verschlungen, die zum Thema Hochbegabung erschienen sind. Natürlich hat mir die Literatur aus der Forschung durchaus notwendiges Background-Wissen vermittelte, das ich heute für die Beratung von Familien und Schulen, die mit hochbegabten Kindern unterwegs sind, brauche. Aber als Mama hätte ich etwas anderes nötig gehabt. Ich stellte fest, dass zum Thema Hochbegabung Bücher einen direkten Austausch oder eben Beratung nicht ersetzen können.

Glas mit Münzen steht auf vier Büchern
Beratung kostet. Bücher auch.

Spielplatzgespräche

Mit dem Ergebnis der Potenzialabklärung hielt ich mich in unserem Umfeld tunlichst zurück. Sprachen mich andere Eltern auf den Wissensdurst unseres Sprösslings – welches Kind philosophiert den schon als Vierjähriger über die Vor- und Nachteile von Wasserstoff- und Atomenergie?- oder seinen immensen Wortschatz an, wich ich aus. Ich wollte keinen Stempel für meinen Sohn. Ich fühlte mich missverstanden, allein und die Aussage der Kindergärtnerin, ich solle aus meinem Sohn keinen Einstein machen wollen, trifft mich heute noch irgendwie. Das wollte ich ja gar nie. Ich wollte bloss ein glückliches Kind.

Fachleute und Gleichgesinnte finden

Noch immer ist das Thema Hochbegabung mit Vorurteilen und Clichés behaftet. Und leider gibt es immer noch viele Schulen, die Hochbegabten aus Mangel an personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen hilflos gegenüberstehen.
Und gerade da merke ich, wie hilfreich es sein kann, sich mit Menschen auszutauschen, die Ähnliches erleben. Allerdings ist es dabei auch extrem wichtig, dass man nicht in allfälligem Ärger und Frust stecken bleibt, sondern sich Hilfe holt. In der Schweiz wenden sich viele Eltern erstmal an den Kinderarzt, was grundsätzlich eine gute Idee sein kann. Eventuell arbeitet er mit einer fähigen Psychologin zusammen oder verweist sogar an eine entsprechende Expertin. Auf der Seite des Netzwerks Begabungsförderung ist eine nach Kantonen geordnete Liste von solchen Fachpersonen abrufbar. Eine gute Anlaufstelle ist auch der Elternverein für hochbegabte Kinder ehk. Er vermittelt ebenfalls Fachpersonen mit verschiedenen Schwerpunkten.

Beratung für GNHP-Familien

„Ratschläge sind auch Schläge“- vielleicht sind Beratungen deshalb ein bisschen aus der Mode gekommen. Heute lässt man sich eher coachen. Ich denke, es braucht beides.
Mit meinem Fachwissen, meiner Erfahrung und Expertise kann ich Eltern und Schulen aufzuzeigen, wo der Weg mit einem hochbegabten Kind lang gehen könnte. Was es für Möglichkeiten, Chancen und Knackpunkte gibt.
Ich möchte aber auch, dass sich das System bewegt. Und da sind alle Beteiligten gefordert. Auch das Kind auf seine Art. Dazu braucht es aber oft meine Ermutigung, mein Anschubsen. Es macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass Eltern aufgrund meiner Hinweise daheim ein Klima schaffen können, in dem sich ihre Kinder nicht in hilfloser Wut schreiend auf dem Boden herumwälzen müssen. Es freut mich, wenn Kinder wieder gern zur Schule gehen, weil Lehrpersonen das Bewusstsein für ihre Bedürfnisse geschärft haben und den Unterricht so gestalten, dass Potenziale gelebt werden können. Und ich bin super happy, wenn ich das Mindset, die innere Haltung eines Kindes so verändern kann, dass es sein Selbstbewusstsein wieder entdeckt und das Leben spannend findet.

GNHP-Familien sind „ganz normale Hoch-Potenzial Familien“ und damit meine absoluten Lieblingskunden. Mit „Familien“ – einfach der Klärung halber – schliesse ich alle möglichen Konstellationen ein, in denen erwachsene Menschen Minderjährige auf ihrem Weg zur Mündigkeit begleiten.

Wenn Sie merken, dass Sie sich trotz Ihrer Bücher mit jemandem austauschen möchten, der Ihre Situation verstehen und nachvollziehen kann, dann freue ich mich über Ihre Kontaktnahme!

Schlagwörter: Beratung · Bücher · hochbegabt · Potenzial 

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