Warum ich es liebe, mit Kindern am Mindset zu arbeiten

Bei meiner Arbeit stelle ich oft fest, dass Kinder mit hohen Begabungen wenig Selbstvertrauen haben. Viele verstecken ihre Fähigkeiten, schreiben sogar extra Fehler in ihre Tests, um nicht aufzufallen. Mich macht das unheimlich traurig und manchmal wünschte ich mir, wir wären in Amerika, wo Menschen mit Überzeugung sagen: «Yes, I do speak French»- auch wenn sie in dieser Sprache knapp bis 10 zählen können. 

Es ist sicher so, dass die schweizerische Mentalität sehr auf Bescheidenheit ausgerichtet ist, vielmehr als zum Beispiel auch die deutsche. Wir zeigen und exponieren uns nicht so gerne. Und obwohl ich diesbezüglich die Unbekümmertheit meines italienischen Vaters mitbekommen habe und in meiner Kindheit kein Blatt vor den Mund genommen habe, musste ich doch teilweise schmerzhaft lernen, dass dies nicht überall gern gesehen ist und auch als überheblich taxiert wird. Also habe auch ich angefangen, mich anzupassen und klein zu machen. Erst die Erfahrungen der letzten Jahre haben mir gezeigt, dass es durchaus gut ist, sich und sein Wissen in die Welt zu tragen.

Selbstbild entwickeln

Spannend sind die Arbeiten der Moti­va­tions­forscherin Carol Dweck. An der Stanford Universität liess sie Kinder Puzzles lösen. Je nach Art des Lobs, welches die Kinder anschliessend erhalten haben, war die Bereitschaft, anschliessend ein anspruchsvolleres Puzzle zusammenzusetzen unterschiedlich hoch.
Wurden sie im Sinne von «du hast das ganz toll gemacht, du bist bestimmt sehr klug» gelobt, waren die wenigsten Kinder bereit, sich anschliessend auf ein schwierigeres Puzzle einzulassen. Bekamen sie aber im Stil von «toll, wie du dich dafür angestrengt und nicht aufgegeben hast!» Feedback, konnten sich die überwiegende Menge der Kinder dazu entscheiden,  sich auch an ein schwierigeres Puzzle zu wagen.

Was ist da passiert?

Die Kinder reagierten auf die sehr feinen Nuancen in der Sprache der Erwachsenen. Das erste Mal wurde das Talent der Kinder, ihre Fähigkeit eine Aufgabe zu bewältigen gelobt. Für die Kinder waren diese Eigenschaften mit ihrer Persönlichkeit verbunden, ein potenzielles Scheitern wäre eine persönliche Abwertung gewesen. Das zweite Mal erwähnte Dweck die Anstrengungsbereitschaft und den Einsatz der Kinder, die sich dann deutlich öfter für das schwerere Puzzle entschieden, weil diese Leistungen eben nicht mit ihrer Persönlichkeit sondern mit ihrem Verhalten verbunden waren. 
Dweck bezeichnet die unter­schied­lichen Einstellungen als „Fixed Mindset“, (statisches Selbstbild), und „Growth Mindset“ (dynamisches Selbstbild).
Menschen mit einem sogenannten „Fixed Mindset“ glauben, dass Fremdsprachen oder Physik nur der kann, wer eben „begabt“ ist. Diese Menschen sind überzeugt, dass Fähigkeiten angeboren und unveränderlich sind. Man kann Physik – oder man kann es eben nicht. Menschen mit diesem „Fixed Mindset“ messen ihren Selbstwert daran, wie viele Begabungen sie haben und welche Dinge ihnen leicht fallen. Dweck fasst zusammen: „Diese Leute denken Dinge wie ‚besser keine Fehler machen, besser gut dastehen, was denken die anderen über mich?‘ “ Fehlschläge verunsichern sie völlig, weil das Bild ihrer Persönlichkeit ins Bröckeln gerät: „Habe ich dieses Talent doch nicht?“ Da sie keine Strategie besitzen, an Herausforderungen zu wachsen, versuchen sie diese zu vermeiden. Traurig, oder? 
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir bereits jungen Menschen zeigen, dass ihr Können nicht in Stein gemeisselt ist, dass sie mit Selbstvertrauen und Mut noch viele positive Überraschungen erleben dürfen.

Mindset-Arbeit konkret

Nun arbeite ich ja einerseits in einem 50% Pensum an der örtlichen Volksschule als Lehrerin für Begabtenförderung und andererseits als Begabtenexpertin in meiner eigenen Beratungsstelle «begabt und glücklich». Hier ist der Name Programm. Mein Ziel ist es, dass Kinder mit hohen Fähigkeiten mit ihrem Potenzial umgehen können und damit glücklich sind. Im englischen Sprachraum heisst Hochbegabung «gift». Ein  Geschenk ist sie tatsächlich und darüber sollte man sich doch freuen können, oder?

Leider stelle ich oft fest, dass jene Kinder, die zu mir kommen, weil sie mit ihrem Potenzial hinterm Berg halten, wenig Selbstvertrauen haben, schnell entmutigt sind und sich nichts mehr zutrauen. Das mag viele Gründe haben: Vielleicht sind sie in einer negativen Perfektionismusspirale gefangen oder sie haben zu oft erlebt, dass ihr Wissen nicht gefragt ist. Vielleicht sind sie auch so lange klein gehalten worden, dass sie Dinge, die sich mal konnten, oder die für ihre Fähigkeiten längstens ausreichen würden, gar nicht mehr hinkriegen- erlernte Hilflosigkeit nennt sich das. Oder da wäre noch die Geschichte mit der fehlenden Motivation, dazu habe ich ja letzte Woche einen ausführlichen Beitrag geschrieben. Ursachen gibt es viele… Hier gilt es sorgfältig hinzuschauen und entsprechend zu reagieren. Des Pudels Kern liegt oft im statischen Selbstbild. Wer sich nur über sein (vermeintliches) Versagen oder Können definiert, wird bei Misserfolgen den Mut verlieren. Die Arbeit am veränderbaren Selbstbild, an der inneren Einstellung kann hier wahre Wunder wirken.

In diesem Zusammenhang kommt mir immer Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf in den Sinn, die mit ihrer Unbekümmertheit verkündet. «Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut!» Davon könnten wir uns wahrlich eine Scheibe abschneiden! Ich will jetzt nicht zum lebensverändernden Umkrempeln des Umfelds aufrufen- jedenfalls nicht gleich. Aber in kleinen Häppchen Dinge, die sich nicht gut anfühlen, anders angehen als gewohnt, das ist sicher eine gute Idee. Dinge, die nicht so gelaufen sind, wie wir sie uns vorgestellt haben, nicht zu persönlich nehmen sondern genau hinschauen, woran es gelegen hat, entlastet unheimlich.

Überhaupt können von Pippi Langstrumpf einiges lernen und Kinder sprechen sehr gut auf sie an. „Faul sein ist wunderschön! Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ Kreativität braucht Zeit und Freiraum. Neues entsteht nicht unter Druck. Darum geniesse ich selber es ja auch sehr in meinem Lieblingscafé auf der Terrasse zu schreiben- weg vom Schreibtisch oder Haushalt, wo 1000 Dinge mich daran erinnern, was ich noch machen müsste. Pausen sind wichtig. Sie sind wie schwarze Löcher, die Unmengen von Energie, theoretisch sogar ganze Universen, freisetzen können.

In meiner Arbeit mit den Kindern gebe ich zu Beginn meist den Auftrag, dass sie mir, am liebsten Strukturlegematerial, darstellen, welche Dinge sie am liebsten tun und was ihnen daran Spass macht. An diese Ressourcen können wir später anknüpfen. Je nach Alter der Kinder erfinde ich später aus dem Gehörten auch eine Geschichte. Das fällt mir leicht und der Wiedererkennungswert oder das Gefühl, nicht allein zu sein, tun schon mal gut. Es ist so wichtig, dass die Kinder spüren, dass sie okay sind, wie sie sind. Selbstverständlich gilt dies für alle Kinder, alle Menschen überhaupt.

Wenn Eltern in einem Vorgespräch schon erwähnen, dass sie ihr Kind seltsam finden, tut mir das im Herzen weh und ich setze alles daran, dass Eltern ihr Verständnis für ihre Kinder entwickeln können. Oft stecken dahinter auch Themen und Glaubenssätze, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, und manchmal empfehle ich auch die Unterstützung einer psychologisch geschulten Fachkraft- es ist wichtig, seine eigenen Grenzen zu erkennen. Aber ich betrachte es als meine Aufgabe, den Kindern zu zeigen, wie wichtig ein positives, dynamisches Selbstbild ist. Nur, was heisst das konkret?

Reflektion

Nachdenken lässt einen Perlen finden. Es kann, gerade in anspruchsvollen Zeiten, extrem hilfreich sein, wenn man Rituale oder Gewohnheiten etabliert, die einem Raum zum Reflektieren des eigenen Alltags geben. Da finden sich auch immer wieder kleine Fitzelchen und grosse Brocken, die Grund zur Dankbarkeit geben. Dankbarkeit finde ich etwas vom Grundlegendsten überhaupt. Wer dankbar ist, hat Gründe gefunden, die das Leben lebenswert machen. Und ein lebenswertes Leben spornt an, sein Bestes zu geben, zur besten Version seines eigenen Ichs zu werden. Ein ganz tolles Buch dazu finde ich das Happy Self Journal von Francesca Greens, veröffentlicht 2019 von Happy Self Ltd. 
Schon öfters habe ich meinen jungen Klienten – und natürlich ihren Eitern! – den Gebrauch dieses wunderbaren Journals empfohlen. Damit dieses Ritual der Reflexion verinnerlicht werden kann, braucht es die Unterstützung der Eltern oder anderer Bezugspersonen. Ich weiss von Familien, die jeden Abend nach dem Essen noch eine Viertelstunde gemeinsam am Tisch bleiben, während die Kinder für sich allein oder auch im gemeinsamen Gespräch den Tag Revue passieren lassen und dabei drei gute Dinge, die an diesem Tag passiert sind, aufschreiben, dem Tag ein passendes Emoji verpassen und eine der wechselnden Tagesaufgaben, die von «Schreibe deine eigene Affirmation» über «Dinge zum Abhaken», «schreib einen Brief an jemanden, den du schon lange nicht mehr gesehen hast» reichen können, erledigen. Andere wiederum verlegen die Rückschau auf den Zeitpunkt des Zubettgehens. Wichtig scheint mir die Regelmässigkeit und Stetigkeit.

Dynamisches Selbstbild lässt sich entwickeln

Es braucht zwar Hartnäckigkeit und Kontinuität. Aber sie lohnen sich! Ich mache solche Übungen und Gedankenexperimente auch regelmässig mit meinen Schülern. Und obwohl hier der Abstand zwischen den einzelnen Sequenzen wesentlich grösser ist, als wenn im Familienverband am Selbstbild gearbeitet wird, sind auch hier bald Erfolge sichtbar. Wir üben uns im Perspektivenwechsel, finden, was uns stärkt, listen diese Dinge auf, entwickeln Strategien gegen Frust und Motivationsmangel und vor allem wertschätzen wir einander und bauen einander auf.

Hilfreich sind dabei auch visuelle Erinnerungshilfen oder Motivationsspruchkarten, die bei uns im Schulzimmer hängen oder die auch hin und wieder als Reminder verschenke. Manchmal treffe ich meine Karten dann im Etui eines Kindes oder als Buchzeichen wieder an oder Eltern haben mir schon erzählt, dass sie neben dem Bett oder über dem Schreibtisch hängen. Diese Rückmeldungen freuen mich natürlich und zeigen mir auch, dass meine Intension Spuren hinterlässt.

Ein Samenkorn für die Zukunft

Ich bin überzeugt, dass sich diese zeitliche Investition an Zuwendung lohnt. Die Zeit, die wir brauchen, um dieses einst gesetzte Samenkorn zu wässern und zu düngen, sparen sich alle Beteiligten zu einem späteren Zeitpunkt. Kinder mit einem dynamischen Selbstbild sind zuversichtlicher, mutiger und optimistischer. Und genau solche Kinder brauchen wir! Es sind sie, die die Probleme, die ihnen die vorangehenden Generationen eingebrockt haben, lösen müssen. Die oben genannten Eigenschaften werden ihnen dabei helfen. Ein letzter Aspekt des dynamischen Selbstbildes ist die Resilienz, also die psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, die daraus entsteht, wenn wir geübt sind, unsere innere Flamme zu nähren und an uns selbst zu glauben. Dünger für das Pflänzchen Selbstwirksamkeit zu sein, treibt mich an, diesen meinen Beitrag für die kommende Generation zu leisten.

Nicht nur für Kinder

Arbeit am Mindset ist nicht nur für Kinder sinnvoll. Auch wir Erwachsenen haben dank der Plastizität und Veränderbarkeit unseres Gehirns jede Minute aufs Neue die Möglichkeit unsere Einstellung uns selber und der Welt gegenüber zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Und auch hier lohnt es sich, zuerst einen Fokus auf die Dankbarkeit zu setzen. Es gibt tausende Dinge, mögen sie noch so klein sein, für die wir dankbar sein können. Und aus diesem Gefühl heraus können wir unser Selbstwertgefühl nähren, was wiederum Mut und Kraft zur Veränderung gibt. Alle Zellen unseres Körpers erneuern sich ständig, wir sind heute physisch nicht mehr die Person, die wir vor einem Jahr waren. Höchste Zeit also unsere Glaubenssätze und Einstellungen einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen!

Schlagwörter: Einstellung · Mindset · Motivation · Reflexion · Schule · Selbstbild 

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