Hin und wieder werde ich gefragt, ob es denn auch ein paar Quick-Tipps gäbe, um hochbegabte Kinder klug zu begleiten.
Jein. Es gibt sie. Wie “quick” sie sind, liegt weniger am Kind als am Erwachsenen, der lernen muss, achtsam und vorausschauend zu agieren, damit er nicht immer re-agieren muss. Bewusst eingesetzt können die untenstehenden Tipps Wunder wirken.
Auch wenn diese Hinweise für alle Kinder umsetzbar sind, so gelten sie für hochbegabte Kinder noch viel stärker, weil diese oft ganz besondere Antennen besitzen, mit denen sie uns Erwachsene rasch entlarven und durchschauen können.
Schau zuerst die Grundbedürfnisse an
Manchmal mag es einem so vorkommen, als wollten uns Kinder mit aufsässigen, trotzigem oder gar aggressivem Verhalten ärgern. Aber schon gelehrtere Menschen als ich sind zur Erkenntnis gekommen, dass Kinder von Grund auf kooperativ sein wollen. Und wenn sie es nicht können, dann liegt es daran, dass eines ihrer (Grund-) Bedürfnisse nicht gestillt ist.
Wenn also ein Kind Hunger hat, müde oder traurig ist, gilt es zuerst diese Störfaktoren zu beseitigen, bevor wir mit unseren Wünschen und Aufgaben an es herantreten. Es ist weder böser Wille noch Trotz, wenn ein Kind in so einem Moment nicht drauf eingehen kann, sondern einfach eine Sache von Prioritäten, die das Kind noch nicht so benennen würde.
Allerdings ist dies jetzt natürlich kein Plädoyer dafür, Kinder mit Essen, vorzugsweise Süssigkeiten, vollzustopfen! Es ist eine Aufforderung an uns Erwachsene, Eltern oder Lehrpersonen, einen Schritt zurückzutreten und den Check zu machen, warum es jetzt gerade hakt. Je nach Alter des Kindes kann man dies im Gespräch herausfinden. Jungen Kindern hilft man schon mit konkreten Fragen wie z. B.: „Magst du zuerst etwas essen?“, „Hast du Durst?“, „Soll ich dich mal in den Arm nehmen?“.
Wie du die Kommunikation gestalten kannst
Das Formulieren von „ICH-Botschaften“ (also: „Ich sehe, dass du quengelig bist und ich vermute, dass du Hunger hast. Möchtest du zuerst etwas essen, damit wir nachher in Ruhe über XY reden können?) kann helfen, Schuldzuweisungen zu vermeiden. Achte darauf, dass du selbst bei dir bleibst. Wenn du wütend oder ärgerlich bist, verlass den Raum, zähle langsam auf 10 oder 20 – oder noch weiter, wenn es nötig ist, gehe eine Runde joggen oder schnapp dir den Hund für einen Spaziergang, wenn dein Kind in der Zeit gut betreut ist.
Übrigens können solche Gespäche auch gut im Gehen geführt werden. Oder joggend, damit Gefühle erst mal ausgepowert und dann spazierend konstruktiv bearbeitet werden können.
Hilfreich sind dabei natürlich auch Kenntnisse in gewaltfreier Kommunikation. Diese richtet sich nach dem Schema „Beobachtung-Gefühl-Bedürfnis-Bitte“ und könnte im konkreten Fall so aussehen: „Ich habe gesehen, wie du nach der Schule wütend deine Schultasche mit allen Spitzerabfällen auf dem Wohnzimmerteppich ausgeleert hast. Ich bin traurig, weil ich spüre, dass diese Aktion mit deinem persönlichen Frust zusammenhängt und ich wissen möchte, dass wie ich dich unterstützen möchte. Bitte sag mir, was du brauchst, um mit mir darüber reden zu können.“
Aber auch ohne Spezialkurs oder gar Ausbildung wirst du zu deinem Kind einen guten Kommunikationsdraht finden, wenn es sich in seinen Bedürfnissen wahrgenommen fühlt und nicht in die Ecke des Sündenbocks gedrängt wird.
Sieh das Kind hinter der Hochbegabung
Dieser Tipp mag sich im ersten Moment ein bisschen seltsam anhören, ist mir aber ein sehr grosses Anliegen, weil oft etwas vergessen geht: Vor uns steht ein hochbegabtes Kind. Wir dürfen bei aller Begabung nicht übersehen, dass dieser junge Mensch in erster Linie ein Kind mit all seinen kindlichen Bedürfnissen ist.. Wir kümmern uns also um das Wohlergehen eines Kindes mit hoher Begabung. Das Kind ist wichtig, die hohe Begabung ist ein Attribut, etwas, das zum Kind gehört und sein ganzes Sein prägt. Und wie jedes andere Kind hat auch ein Kind mit grossem Potenzial das Bedürfnis zu spielen, auszuprobieren und Grenzen zu testen. Genauso hat es auch ein Recht Streiche zu spielen, Blödsinn zu machen und einfach mit seinen Freunden abzuhängen. Es hat aber auch die Pflicht, sich wie die Geschwisterkinder an Ämtchen wie Geschirr einräumen, Tisch decken oder kleine Einkäufe erledigen zu beteiligen.
Sei eine verlässliche und echte Bezugsperson
Es gibt einige Studien, die sich damit befassen, welche Eigenschaften Bezugspersonen hochbegabter Kinder aus der Sicht von Kinder und Jugendlichen ausweisen müssen, damit die Beziehung gelingt. Der amerikanische Psychologe Paul Torrance hat über lange Zeit hochbegabte Kinder betreut und begleitet. Er bat sie, zu reflektieren, welche Lehrpersonen in ihrem Leben einen Unterschied gemacht haben und weshalb. Die Gemeinsamkeiten all dieser Menschen waren:
- sie wiesen eine positive Grundhaltung gegenüber dem Kind mit seinen speziellen Eigenschaften auf und brachten diese auch wertschätzend zum Ausdruck
- ihre empathischen Reaktionen auf die Emotionen des Kindes unterstützten es darin, Gefühle auszudrücken und anzunehmen
- diese Lehrpersonen zeigten, dass sie das Kind unabhängig von seinen Fähigkeiten und Leistungen mögen
- sie drückten ihre Wertschätzung und ihr Verständnis für das Kind, seine Ideen, Überzeugungen, Emotionen und Verhaltensweisen aus
- sie unterstützten das Kind im Prozess der Interessenfindung und des Durchhaltens
- sie nahmen sich Zeit für die Auseinandersetzung mit jedem Einzelnen
- die Lehrpersonen legten den Fokus auf den Wert der Anstrengung und des Prozesses
- sie betonten die Wichtigkeit von Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit
Auch wenn diese Liste sich auf Lehrpersonen bezieht, so kann sie leicht auf Eltern und andere Bezugspersonen angewandt werden. Gerade das Sprechen über Prozesse, Erfolge und Misserfolge und die Einstellung dazu (=> Mindsetarbeit) ist für diese Kinder von ganz besonderer Wichtigkeit.
Wenn du Lust hat, einen anderen Blick auf dein Kind zu bekommen, dann empfehle ich dir gern mein Gratis-Angebot: Einen Elternbeobachtungsbogen in der Light-Version. Ich stelle dir darin Fragestellungen zum Verhalten deines Kindes und zu seinen „special Effekts“, damit du seinen Bedürfnissen besser auf die Spur kommst. Dies kann ein erster Schritt zu einem harmonischeren Familienleben sein.