Intelligenztest

Aktuelle Intelligenztests sind wichtig!

Ich sitze gerade über der Testauswertung eines Kindes, das ich letzte Woche „abgeklärt“ habe. Es war eine Nachtestung. Das Kind wurde vor gut zwei Jahren von der Kinderärztin auf eine Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (kurz ADHS) getestet. Dieser Verdacht wurde nicht bestätigt, aber als „Beifang“ hat sich eine Hochbegabung gezeigt.
Die Eltern gelangten jetzt, zwei Jahre später, an mich. Sie wollten aufgrund einiger psychosomatischen Reaktionen des Kindes durch einen aktuellen Intelligenztest erfahren, wie das Profil ihres Kindes aussieht und ob allenfalls Fördermassnahmen angepasst werden müssen.

Unterforderung und ADHS zeigen sich ähnlich

Es ist bekannt, dass sich die Verhaltensweisen von Kindern mit einer ADHS und jenen von unterforderten Kindern sehr ähnlich sind. Verweigerung, Unkonzentriertheit, Klassenclown spielen, grosses Bewegungs- und Beschäftigungsbedürfnis, unermüdlicher Schaffensdrang… wir kennen es alle. Eltern und Lehrpersonen können an die Grenzen der Belastbarkeit geraten. Eine ADHS-Diagnose ist eigentlich eine Ausschlussdiagnose, die zum Teil aufwändige sog. „differentialdiagnostische“ Untersuchungen erforderlich macht. Häufig verbinden sich mit dem ADHS weitere Auffälligkeiten, z.B. im Sozialverhalten und der Anerkennung von Autoritäten, die auch für sich „krankheitswertig“ sein können (sog. „Komorbiditäten“).

Von daher war bei meinem jungen Klienten diese Wende in der Diagnostik nicht überraschend, weil sie eben hin und wieder vorkommt. Intelligenztest sei Dank!
Wenn du dir überlegst, dein Kind testen zu lassen, lies vielleicht auch diesen Artikel!

Profilverläufe

Wenn schon eine frühere Testung vorliegt, bitte ich die Eltern meist, mir diese Werte zur Verfügung zu stellen. Ich finde es spannend, wie sich Profile manchmal verändern oder eben „special effects“ bleiben.

Alte Testversionen

Im konkreten Fall eines früheren Tests, den mir die Eltern zugestellt haben, hat sich das aktuelle Testergebnis um mehr als eine Standardabweichung, d.h. mehr als 15 IQ-Punkte, von der früheren Testung nach unten verschoben.

Das kann natürlich verschiedene Ursachen haben. Wir alle wissen, dass Motivation, Tagesform, auch die Beziehung zur Testleitung, Einfluss auf das Resultat haben können.
Zudem ist der IQ keine Konstante, d.h., er kann sich verändern. Hier aber war die Abweichung schon extrem gross.
Ich habe mir dann den alten Test genauer angeschaut und sehr schnell festgestellt, dass es sich hierbei um eine schon lang veraltete Testversion gehandelt hat.

Wieso ist es wichtig, dass Kinder mit aktuellen Tests untersucht werden?

Flynn-Effekt

Der Forscher Flynn hat in den achtziger Jahren festgestellt, dass sich der IQ innerhalb einer Generation zwischen 5 und 25 IQ, Punkte nach oben verändert, u. a. weil das Wissen schneller einer breiten Allgemeinheit zugänglich wird.
In einem Interview mit Tanja Gabriele Baudson sagte 2016 anlässlich des Psychologenkongresses in Dresden Jakob Pietschnig (Universität Wien) dazu: „Mittlerweile scheint gesichert, dass es sich nicht um eine einzige Ursache handelt, sondern dass mehrere Faktoren verantwortlich sein dürften. Aus einer Vielzahl an vorgeschlagenen Theorien (es gibt derer so um die 20) scheinen bessere und längere Beschulung, verbesserte Ernährung sowie medizinische Versorgung und Hygiene am plausibelsten mit den beobachteten Daten übereinzustimmen. Aber auch (…)  Testrate-Effekte und sogenannte soziale Multiplikatoren (d.h. verstärkte Belohnung durch die Umwelt für gewisse intelligente Verhaltensweisen) scheinen eine Rolle zu spielen. (…) Grundsätzlich kann man festhalten, dass der Flynn-Effekt in verschiedenen Ländern verschiedene Ausprägungen zeigt. Nichtsdestoweniger waren bis in die Mitte der achtziger Jahre die Veränderungen fast überall positiv. Erst seitdem zeigt sich Evidenz für ein Abflachen und spätere Stagnation und Umkehr in Ländern wie Dänemark, Frankreich, aber auch Deutschland und Österreich. Erwachsene dürften übrigens mehr von den IQ-Zuwächsen profitiert haben als Kinder, während dem das Geschlecht keine Rolle zu spielen scheint. (…) Der Flynn-Effekt ist einerseits methodisch interessant, weil er eine Herausforderung für die moderne psychometrische Testpraxis darstellt. Andererseits ist natürlich die Idee, dass die Allgemeinbevölkerung über einen relativ kurzen Zeitraum solche massiven Zuwächse zeigt, selbst wenn es sich nur um spezifische Fähigkeiten handelt, höchst interessant. (Stangl, 2024).

Verwendete Literatur
Stangl, W. (2024, 22. Jänner). Flynn-Effekt. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
https://lexikon.stangl.eu/7369/flynn-effekt.

Mehr zum Flynn-Effekt und auch der aktuellen Abflachung gibt es hier!

Veraltete Intelligenztests produzieren Hochbegabte

Aufgrund des Flynn-Effekts könnte man auf die Idee kommen, dass die heutigen Kinder schlauer seien als wir früher. Nicht wirklich – weil wir ja davon ausgehen, dass sich die Intelligenz permanent über die gesamte Bevölkerung immer gemäss der IQ-Verteilung zeigt. Und genau darum müssen Tests kontinuierlich neu normiert werden! Nur wenn die Ergebnisse repräsentativ sind und anhand der Vergleichsgruppe abgeglichen sind, stimmen die ermittelten Werte.
Im Extremfall kann ein veralteter Test sogar Hochbegabte „machen“. Ein fälschlicherweise als hochbegabt diagnostiziertes Kind, kann unter gut gemeinten Fördermassnahmen leiden und unter Umständen dem Erwartungsdruck seines Umfeldes nicht standhalten. Damit ist nun wirklich niemandem gedient!
In den USA entscheidet ein Intelligenztest über Leben und Tod: Wird Mördern eine verminderte Intelligenz attestiert, bewahrt sie das vor dem elektrischen Stuhl. Verheerend, wenn ein alter Test zu hohe Resultate produziert!

Intelligenztests müssen aktuell sein!

Für euch als Eltern heisst dies aber auch, dass ihr unbedingt nachfragen sollt, ob die Testung mit einem aktuellen Test durchgeführt wird. Circa alle zehn Jahre passen die Intelligenzforscher nämlich die Test-Batterien an und validieren sie neu.

Wird eine Testung mit einem veralteten Test durchgeführt, sind die Resultate zu hoch. In diesem konkreten Fall zeigte das Testresultat eine Hochbegabung, die offensichtlich nicht vorhanden ist. Dass die Differenz zwischen erster und zweiter Testung so hoch ausfällt, ist einfach nicht üblich und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich das Kind das zweite Mal unter seinem Wert geschlagen hat.
Als Konsequenz wurde das Kind -wie bereits oben beschrieben- permanent überschätzt. Die zu hohen Anforderungen konnte es gar nicht erfüllen. Der unnötige Erwartungsdruck führte zu allerhand psychosomatischen Beschwerden, die man zuerst auf eine ungünstige Schulsituation abgeschoben hat. Auch wenn die Eltern nun ein bisschen leer schlucken, dass ihr Kind nun doch nicht hochbegabt sondern „nur“ überdurchschnittlich gut begabt ist, werden sie glücklich sein, dass ihr Kind mit grosser Wahrscheinlichkeit einen entspannteren Schulbesuch geniessen darf.

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