Meine Gedanken zu: Das krisenfeste Kind

Nachdem „der tanzende Direktor“ eines meiner liebsten Bücher im Themenkreis Schule und Schulentwicklung ist (meine Quintessenz davon gibts hier) und ich mit dem Buch „eine Linie ist ein Punkt, der spazieren geht„, nicht so recht warm geworden bin, war ich gespannt auf das neuste Printmedium von Verena Friederike Hasel. „Das krisenfeste Kind“ klang ja vom Titel her schon mal erfolgsversprechend. Und da Schulen auch hier ihren Beitrag leisten sollen, machte ich mich neugierig ans Lesen.

Unterschiedliche Schulrealitäten

Für das Buch besuchte Frau Hasel verschiedene Schulen in Finnland und Deutschland. Kinder brauchen motivierte Lehrerinnen und Lehrer, die gut ausgebildet sind. Sie zeigt dies am Beispiel Finnland: Zwar haben die Finnen vor Jahrzehnten das deutsche Schulsystem übernommen, aber später grundlegend reformiert. Leitgedanke damals sei gewesen: „Wir haben keine Bodenschätze in Finnland, sondern nur Menschen, und darum müssen wir dafür sorgen, dass keiner in einer Sackgasse endet“. Nun ja, das würde ja eigentlich auch für die Schweiz gelten. Unser Kapital sind nicht etwa die Banken sondern die kommenden Generationen! Genau so wie Finnland müssten wir etwas mehr dafür tun, dass Lehrpersonen gute Lehrerpersonen werden. In Finnland hat sich die Erkenntnis, dass alles mit der Lehrpersonen und der Beziehung, die sie zu den Kindern aufbauen kann, steht und fällt, durchgesetzt.

Lebenslanges Lernen auch für Lehrpersonen

Wichtiger noch als die Persönlichkeit und die Ausbildung ist die stetige Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer, damit neue Erkenntnisse aus der Forschung ihren Weg auch in die Schulzimmer findet.
Verena Friederike Hasel bemängelt das Fortbildungssystem in Deutschland. Es sei dringend reformbedürftig. Und in der Schweiz? Ich denke, es gibt ganz tolle Fortbildungen, aber viele Lehrpersonen sind einfach überlastet. Zwar gibt es Pflichtfortbildungen für alle, die an den Schulen vor Ort stattfinden – aber oft sind diese an der Realität vorbei.
Die mangelnde Wertschätzung gegenüber Lehrpersonen in Deutschland ist auch in der Schweiz ein Thema. Der Beruf werde nicht ernst genug genommen, meint die Autorin (und ich auch!).
Ihr Gegenbeispiel aus Finnland: Bei einer Umfrage hätte die Mehrheit der Finnen angegeben, der Ehepartner oder die Ehepartnerin sollte am besten Lehrer/Lehrerin sein. Dies sage einiges über eine Gesellschaft aus, wenn die Menschen geschätzt würden, die mit Kindern arbeiten.

Die Rolle der Schulleitungen

Selbstverständlich ist die Autorin auch in Deutschland auf wunderbare Schulen gestossen. Schulen, an denen der Direktor am Morgen am Eingang steht und mit den Kindern kurze Gespräche führt. Ich finde es absolut wichtig, dass Schulleitende nah bei den Lernenden sind, auch mitbekommen, was sie umtreibt. Schliesslich sind sie ja ihretwegen in dieser Funktion angestellt – sollte man jedenfalls meinen.

Was sollen Kinder eigentlich lernen

Die Frage stellt sich in der Zeit von ChatGPT und andern Tools künstlicher Intelligenz brennender denn je. Im Buch zeigt die Autorin Beispiele, wie soziales Lernen gelebt werden kann – und als Nebeneffekt auch noch Lehrpersonen entlastet.
Inhaltlich sind wir natürlich immer noch an die Lehrpläne gebunden, trotzdem zeigt Frau Hasel an konkreten Beispielen Möglichkeiten auf, wie Freiräume für eigenständiges Arbeiten geschaffen werden können. Es ist wichtig, schreibt sie, dass die jungen Menschen die Möglichkeit haben, etwas in Bewegung zu setzen, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Weil sonst genau das passiere, was der Psychologe Martin Seligman „erlernte Hilflosigkeit“ nannte. Wer meinen Blog schon länger liest, kennt es: Wenn einem nichts zugetraut wird, bleibt man unter seinem Potenzial – und plötzlich geht gar nichts mehr! Ein kleines P.S. zu diesem Artikel: Der in den meisten Kantonen der Schweiz gültige Lehrplan21 bietet enorm viele Freiräume – gerade weil er so viele Kompetenzen auflistet, finden sich so viele Legitimationen, den Unterricht zu öffnen.

Wie sollen Kinder lernen

Aufgrund der finnischen Erfahrungen plädiert Frau Hasel auf frühe Förderung, die mit Scannings vor allem bezüglich der sprachlichen Fähigkeiten verbunden sind.
Die frühe Förderung unterstützt auch die Sozialisierung und erleichtert den eigentlichen Schulunterricht einige Jahre später.
Die grösste Motivation von uns Menschen, ist dazuzugehören. Was schon Aristoteles gewusst hat, wurde auch durch die aktuelle Motivationsforschung immer wieder bestätigt Ohne Gemeinschaft hätte der Mensch nicht überlebt. Was heute Tiere in freier Wildbahn immer noch tun, nämlich fürsorgliche sich Kümmern, ist im heutigen anonymen Arbeits- und Schulalltag schwierig geworden. Allerdings gibt es eine wunderbare Möglichkeit des Ersatzes: Gemeinsames Musizieren. Hat Darwin vor langer Zeit noch darüber gerätselt, warum Urvölker dies taten, stellte der der Psychologe Robin Dubar in den 1990ern fest, dass Orchester und Chöre eine Art Grooming (nein, nicht das pädosexuell missbrauchte Wort, sondern eben die fürsorgliche Pflege aus dem Tierreich!) sei. Denn ungeachtet der Personenanzahl könne so das Gefühl von Gemeinschaft gefördert werden.

Dieses Gemeinschaftsgefühl ist umso wichtiger, als dass die Bemühungen für einen individualisierten Unterricht umgesetzt werden. In einer Gesellschaft, wo viele Kinder als kleine Prinzen und Prinzessinnen in die Schule kommen, ist die Ausschüttung von Endorphinen und Oxytocin (dem Wohfühlhormon) durch Gemeinschaftserlebnisse noch viel wichtiger geworden, als es früher war.

Fazit

Mir gefällt, wie Verena Friederike Hasel neue lernpsychologische Grundlagen an praktischen Beispielen erklärt. Ihre Ausführungen sind auch für Laien gut nachvollziehbar und hilfreich. Wer das Buch gelesen hat, bekommt Ideen, wie Kreativität, Eigenverantwortung, Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit und Selbstregulation bei jungen Menschen gefördert werden kann – alles Dinge, die diesen Planeten längerfristig zu einem besseren Ort werden lassen.

Ein Gedanke zu „Meine Gedanken zu: Das krisenfeste Kind

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