Mehrfach-Diagnosen

Dies ist der 6. Artikel, der im Rahmen der Blogdekade von Hilkea Knies entstand.
Das heutige Thema ist brandheiss und sorgt immer wieder für Zündstoff: Mehrfach-Diagnosen. Dazu gibt es übrigens ein sehr empfehlenswertes Buch von J.Webb (du weisst, ich verdiene nichts daran…). Doppel- und Fehldiagnosen heisst es.

Der Junge, der aus dem Monitorbild zu mir schaut, blickt mich aufmerksam an. Er hat ein offenes Gesicht und einen klaren Blick. Paul fällt es schwer stillzusitzen. Etwas von seinem Körper ist immer in Bewegung. Entweder er wippt mit den Füssen oder trommelt mit den Fingern, hin und wieder pfeift oder summt er. Er ähnelt den berühmten Duracell-Häschen. Aber was ihn antreibt, weiss er selber nicht.

Und erzählen kann er! Er tut dies ohne Punkt und Komma, wie ein Wasserfall! Das geht von seinen Lego Raketen, die er selber konstruiert über das Training im Fussballclub, wo ihn der Trainer nicht mag, bis zu den Hausaufgaben, die er ätzend findet. Er verliert den Faden nie, auch wenn es sonst mit seiner Konzentration ganz böse hapert.
Woran das liegt? Wer weiss das schon? Paul schon gar nicht.

Sorgen der Eltern: Was ist los?

Seine Eltern finden Pauls Verhalten auffällig, er ist so ganz anders als sein grosser Bruder. Also beginnen sie sich zu informieren. Schnell liegt der Stempel ADHS auf dem Tisch. Aber ist er das wirklich? Vieles spricht dafür. Allerdings könnte es natürlich auch sein, dass er bloss unterfordert ist. Denn clever ist Paul schon. Und wer sich langweilt, sucht sich eine andere Beschäftigung. Und nicht jeder kann während des Unterrichts meditieren. Den Clown spielen geht schon einfacher, zumal diese Nummer auch noch publikumswirksam ist.

Ach Gott, vielleicht ist einfach auch sehr lebhaft?

So wie Pauls Eltern geht es vielen anderen Eltern auch. Sie wollen ja nur ein glückliches, zufriedenes Kind. Auffälligkeiten, egal in welchem Bereich, könnten sein Wohlbefinden gefährden. Damit wackelt auch der Wunsch nach einer unbeschwerten Kindheit als Basis für ein erfolgreiches, zufriedenes Leben. Pauls Eltern wenden sich an den Kinderarzt, der ihnen meine Kontaktdaten gibt. Wir besprechen uns per Zoom und machen anschliessend einen 1:1-Termin bei mir im Potenzialraum an.

Was ist wirklich, wirklich wichtig?

Das Gespräch ist ehrlich offen. Pauls Eltern reflektieren auch ihr eigenes Verhalten sehr kritisch. An dieser Stelle des Gesprächs bitte ich Pauls Eltern, sich etwas zu überlegen: Warum möchten sie so gern wissen, worin Pauls Verhalten begründet liegt? Wieso spielt es einen Unterschied, ob er bloss unterfordert oder hochbegabt ist oder ADHS hat? Welche Veränderung wünschen sie sich? Sich diesen Fragen zu stellen, ist wichtig, denn die Antworten sind richtungsweisend für das weitere Vorgehen. Ich konfrontiere Pauls Eltern mit einer ganzen Reihe unbequemer Fragen:

Was triggert euch?

Paul geht es in der Schule ja grundsätzlich gut,. Seine Noten und seine Motivation stimmen. Welches sind die Trigger? Ist es einfach bloss seine Hibbeligkeit?
Dann gäbe es die Möglichkeit, dass ich mit euch Eltern daran arbeiten würde, damit ihr besser damit klarkommt. Ich könnte euch darin unterstützen, besser bei euch zu bleiben Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen.

Ihr möchtet euer Kind besser und gezielter fördern können?

Dann wäre unter Umständen eine Begabungsdiagnostik angezeigt und ihr könntet euch zu Fördermöglichkeiten beraten lassen. Vielleicht bräuchte es aber keine Diagnostik, sondern ich dürfte mir 1:1 mal ein Bild von Paul machen? Pauls Eltern willigen ein und erzählen, dass Paul schon mit ihnen mitkommen wollte. Schliesslich bringt die Mutter noch das Thema ADHS zur Sprache.

ADHS ist eine Ausschlussdiagnose

Auch wenn das nicht immer und überall so gehandhabt wird. Wenn ihr euer Kind auf ADHS abklären lassen möchtet, empfehle ich euch, vorgängig zu überlegen, ob ihr es euch vorstellen könntet, euer Kind bei einer entsprechenden Diagnose medikamentös zu begleiten. Ich selber darf diesbezüglich keine Diagnosen stellen und ich bin auch nicht dafür qualifiziert, all die umfassenden Testungen durchzuführen, die für eine ADHS- Diagnose nötig wären. Aber ich sehen natürlich beim WISC-V, mit dem ich Potenzial-Analysen mache, gewisse Tendenzen…

Klar ist, ihr sucht einen gangbaren, guten Weg für euer Kind und eure Familie. Und ich setze voraus, dass ihr dies möglichst ohne Medikamente tun möchtet. Wir haben mit MindTV ein wunderbares Tool, das wir bei Aufmerksamkeitsstörungen durchaus erfolgreich eingesetzen – vorausgesetzt, das Kind kooperiert.

Lasst von mir zu euren Herausforderungen beraten. Gerade bei Mehrfach-Diagnosen hilft die Aussensicht einer erfahrenen Diagnostikerin. Wir schauen zusammen, welcher Weg für euch und euer Kind sinnvoll ist, damit wieder Freude und Leichtigkeit bei euch einziehen dürfen!

4 Gedanken zu „Mehrfach-Diagnosen

  1. Von: Andrea Beerbaum

    Liebe Dina,

    so wertvoll, dass du das Thema aufgegriffen hast! Und ich habe wieder eine tolle neue Empfehlung für meine angehende Heilpraktiker:innen für Psychotherapie in der KJP.

    Klasse geschrieben, ein schwieriges Thema, liest sich leicht.

    Danke dir, liebe Grüße Andrea

    Antworten
    1. Von: Dina Mazzotti

      Herzlichen Dank für dein wertschätzendes Feedback, liebe Andrea!

      Antworten
  2. Von: Eveline Baumgartner Meier

    Liebe Dina.
    Deine Fragen für die Eltern finde ich extrem wertvoll. Als Elternteil wollen wir ja immer einfach nur das Beste für unser Kind, aber manchmal kommen uns eigene Geschichten, Vorstellungen und Erwartungen in die Quere. Solche Fragen, wie du sie stellst, helfen Klarheit zu finden, worum es mir als Mutter oder Vater wirklich geht, welches meine Sorgen sind und war mir – und damit auch dem Kind – helfen könnte.
    Liebe Grüsse
    Eveline

    Antworten
    1. Von: Dina Mazzotti

      Liebe Eveline
      Ja, genau! Hinzuschauen, welches Gefühl wem gehört, wer welchen Traum leben muss/darf, ist total wichtig!
      Sei herzlich gegrüsst; Dina

      Antworten

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