Das Gefühl, dass jemand einem tief in die Seele blickt und die Welt auf dem Hundeplatz einfach wieder heil wird… Wie oft bin ich bei bissigstem Wind und Eiseskälte mit meinem süssen weissen Fellknäuel auf dem Hundeplatz gestanden und habe geschwankt zwischen Verzweiflung und Wut, dass dieses Klopapier-Werbehündchen all das, was wir in der vergangenen Woche daheim geübt hatten, einfach nicht hier in der Gruppe umsetzen wollte. Eigentlich wäre das die Chance einer Selbstreflexion gewesen, die ich aber in diesen Momenten nie packen konnte.
Wie alles begann
Aber vielleicht sollte ich von vorne beginnen, vom Einbruch bei uns zu Hause und dem Zehnjährigen, der dann auf keinen Fall mehr allein daheimbleiben wollte, ausser… ja, ausser er hätte einen Hund, der ihn beschützen würde. Nun ja, ein Hund war schon länger auf meiner gedanklichen Wunschliste, die anderen zwei Männer des Haushaltes jedoch hatten zwar Vorbehalte, aber nicht wirklich stichhaltige. So fuhren wir eines Tages in ein nahegelegenes Tierheim, weil -so viel war klar- wir wollten einem Hund einen Platz bieten, der aktuell nicht auf der sonnigen Seite des Lebens stand. Und wir wollten ja auch bloss mal gucken. Eigentlich hätte ich es natürlich wissen müssen… Einen guten Monat später zog Aura, ein flauschiges Golden Retriever Mädchen, dessen Mutter trächtig ins Tierheim abgeschoben wurde und dort acht zuckersüsse Junge geworfen hatte, bei uns ein. Ich hatte gerade zwei Wochen Ferien und danach war geplant, dass sie mit mir in die Schule mitkommen und mitarbeiten würde. Aura hat das von Anfang an auch ganz toll gemacht- zum Glück schlafen Welpen viel und mein Schulzimmer lag direkt beim Ausgang, so dass wir bei dringenden Bedürfnissen auch immer ganz schnell draussen waren…
Grenzen klären die Beziehung
Allerdings war unser Mädchen nicht wirklich gut geprägt und im Wurf immer die Letzte gewesen, die zum Napf durfte. Konkret hiess das, dass wir ihr viel Struktur und Sicherheit bieten musste, bis sie uns vertraute und glaubte, dass wir fähig waren, gute Entscheidungen für sie zu fällen, ohne dass sie das Terrain klären oder potenzielle Eindringlinge verbellen musste.
So problemlos sie sich in den Schulalltag integrieren liess, so herausfordernd verlief ihre sonstige Erziehung. Im Nachhinein hat mir unsere Hundetrainerin gestanden, dass sie nicht darauf gewettet hätte, dass wir das Ding durchziehen und Aura zu einem liebend gern gesehenen Teil der Familie heranerziehen könnten. Das zeigt natürlich, dass sie mich schlecht gekannt hatte. Schliesslich hatte ich damals schon mehr als 20 Jahre Schuldienst mit allerhand «Klientel» auf dem Rücken und zwei Söhne zu anständigen Kindern erzogen. Aura und Sohn Nr. 1 hatten eine grosse Gemeinsamkeit: Beide wollten sie jeden Morgen aufs Neue wissen, ob das, was die Mamma oder eben die Rudelchefin gestern als Direktive herausgegeben hatte, tatsächlich immer noch gelten würde. Tat es. Immer. Vielleicht ist dieses ständige Hinterfragen auch mehr ein Zeichen von Intelligenz als das subversive Rebellentum, dem wir es zugeschrieben hatten? Bestimmt gibt es auch hochbegabte Hunde. Wer weiss das schon? Jedenfalls war es anstrengend. Genau so anstrengend, wie mit zwei hochbegabten Jungs. Noch mehr als mit den Jungs habe ich durch meine Junghündin gelernt, dass ich auch geliebten, nahestehenden Wesen Grenzen setzen und klar und unmissverständlich kommunizieren darf.
Zwei Jahre lang führte ich Aura ausschliesslich an der Leine, Freilauf gab es nur da, wo ich kontrollierend eingreifen konnte. Ich wurde von vielen etablierten «Hündelern» schräg angeschaut, viele wollten es besser wissen. Ich blieb dabei, weil mir der Ansatz von Natural Dogmanship einleuchtete und ich keine dieser verfressenen Leckerlihunde wollte. Schliesslich belohnte ich ja weder meine Söhne noch meine Schüler*innen für alles, was sie gut machten mit einem Bonbon oder gar noch grösseren Boni. Zudem war ich es mich gewohnt, mit meinen Taten und Ansichten öfters mal neben dem Mainstream zu stehen, also hatte ich da kein Problem.
Leinen los!
Und da kam der Moment, wo ich Aura nach einem Urlaub, den sie im Hundihotel geniessen durfte, abholte und das langbeinige Hundemädchen, das sie unterdessen geworden war, rannte mir leinenlos entgegen! Leinen los, genau so wie mein Jahresmotto für 2021, so was in der Art wird sie sich gedacht haben, denn sie zeigte ihr grösstes Grinsen auf einem glücklichen Hundegesicht. Seit da an gehen wir mehrheitlich ohne Leine Seite an Seite durchs Leben. Das geniesse ich sehr, ich vertraue ihr, weiss, dass sie sich an mir orientiert und dass meine an sie gerichteten Impulse für sie Sinn machen. Wir sind zu einem guten Team zusammengewachsen und sie beherrscht das Hunde-Einmaleins so gut, dass sie ein gern gesehener Teil meiner Tätigkeit in der Schule ist. Die Kinder sind besorgt, wenn Aura ausnahmsweise nicht zum Unterricht mitkommt und haben sogar darauf bestanden, dass sie an der Fotowand, auf der alle im Schulhaus ein- und ausgehenden Personen mit einem eigenen Foto verewigt sind, einen Platz bekommt. Schulhund Aura also.
Wobei ich zugeben muss, dass wir keine Schulhunde-Ausbildung absolviert haben. Die Hundeschule, die wir bei Antonia Schröder absolviert haben, hat uns auf alles vorbereitet, was Hund im Leben können muss. Zudem gibt es auch echt wunderbare Literatur zum Thema Schulhund. Die ist aber nur für mich – Aura weiss, wie es geht. Wenn ich sie ablege, dann bleibt sie da, egal ob Kinderfüsse um sie herumtapsen oder Bälle über sie hinweg fliegen. Pausenbrote in Kinderhänden lassen sie genauso kalt wie Torjubel auf dem Pausenplatz. Allerdings lassen ihre Sinneswahrnehmungen mit zunehmendem Alter, sie wird bald 12, was für einen grossen Hund schon beträchtlich ist, leicht nach und mehr noch als früher bin ich als verlässliche Partnerin gefordert, damit sie entspannt mit mir unterwegs sein kann.
Assistentin auf vier Pfoten
Ihre Anwesenheit in meinem Unterricht empfinden die Kinder bereichernd. Selbstverständlich bespreche ich mit jeder neuen Gruppe, welche Regeln im Umgang mit Aura gelten und in den mehr als 11 Jahren hat das immer wunderbar geklappt. Es erstaunt mich immer wieder, wie Aura sich mit ihren feinen Antennen fürs Unfassbare, Unausgesprochene oft hinter jenen Kindern platziert, die es gerade besonders nötig haben. Eine schlechte Note, Streit mit dem Kollegen, gesundheitliche Probleme oder gar eine Trennung der Eltern – meine vierpfotige Assistentin sucht immer den Kontakt zu diesen Kindern, lässt sich von ihnen streicheln oder zieht sich mit ihnen in den Gruppenraum zurück, wenn sie eine Auszeit brauchen. Das sind Züge, die ich als Junghund nie in ihr gesehen habe, die sie im Umgang mit den Kindern wohl auch einfach entwickelt hat. Der domestizierte Wolf hat seine Anpassungsfähigkeit bewiesen, genau so läuft es auch mit Hunden, auch sie füllen die Rolle, die wir ihnen übertragen, gewissenhaft aus. Allerdings ist es unsere Aufgabe als kompetente Rudelführer, sie nicht zu überfordern. Hunde haben extrem viel mit uns Menschen gemeinsam. Ein Hund, der nicht macht, was wir von ihm möchten, fordert uns auf, die Situation zu überdenken. Herumschreien hilft da gar nicht, es zeugt höchstens von unserer Inkompetenz, das realisiert jeder Hund. Auch wenn er ihr hilflos ausgeliefert ist. Nicht in den anstrengendsten und herausforderndsten Erziehungssituationen meiner Söhne habe ich so klar und doch emotional neutral den Spiegel vorgehalten bekommen wie von meinem Goldie-Mädchen. Das war nicht immer lustig. Die Szene am Anfang dieses Blogartikels ist dabei exemplarisch, aber ich habe unheimlich viel gelernt. Über mich, mein Verhalten und eigentlich das Leben überhaupt. Hunde haben die Fähigkeit uns, unsere Mimik, unsere Haltung innert Sekunden zu scannen, sie nehmen unsere Ausdünstung wahr und melden uns auf ihre eigene Art zurück, was jetzt gerade los ist. Nicht immer können wir uns von jetzt auf gleich ändern, aber wenn wir dazu bereit sind, können wir aus dieser neutralen Art der Rückmeldung ganz schön was lernen.
Früher habe Aura oft auch eingesetzt, wenn korrigierte Arbeitsblätter zurückgegeben werden mussten. Unmengen von leeren Küchenkrepprollen wurden mit zusammengerollten Blättern befüllt und Fräulein Aura apportierte sie so zu den stolzen Besitzern, die ihr die leere Rolle wieder zurückgaben, damit sie wieder zu mir bringen konnte. Zuverlässig und begeistert führte sie ihre Aufträge aus- schliesslich sind Retriever Tragehunde, da spielt es keine Rolle, ob dies Küchenkrepprollen, mein Schlüsselbund oder die Einkäufe sind. Am liebsten trägt sie natürlich den gefüllten Futterdummy, den sie sich auch heute noch jeden Tag «erjagen» darf. Schliesslich ist der Hund ein Beute(l)jäger. Ich denke, es ist diese tägliche Ersatzjagd, die sie so ausgeglichen und zufrieden sein lässt.
Auch Tiere wollen ihre Potenziale leben
Wie wir Menschen wollen auch Hunde ihre Fähigkeiten und Potenziale leben. Immer nur laufen gehen, befriedigt nicht- kein Hund würde ziellos in der Gegend herumspazieren, weil ihm die Landschaft gefällt. Nein, er will schnüffeln, jagen, Kräfte messen… je nach Typ. Dass Hunde «nur spielen» ist ein Trugschluss- ausser die involvierten Hunde sind wirklich befreundet, dann kann man auch diese typische Playface und den Wechsel in der Rolle des Hasen und des Jägers beobachten. Auch Hunde haben rasse- und typspezifische Vorlieben und Stärken. Mit Aura habe ich viele Jahre Mantrailing gemacht. Sie war so talentiert, dass mir eine deutsche Trainerin anlässlich eines Kurses in der Schweiz allen Ernstes viel Geld angeboten hat, dafür dass sie Aura mitnehmen und für den Polizeieinsatz weiterbilden könnte. Bloss die Vorstellung, meine Süsse einfach so jemandem in die Hände zu drücken, trieb mir Tränen in die Auge. Aura und ich haben eine Beziehung, die auf viel Zeit und Arbeit gebaut ist, da stecken Vertrauen und Liebe drin – unvorstellbar, dies einfach wegzugeben. Sie ist ein Familienmitglied- jenes, mit dem ich am meisten Zeit überhaupt verbringe. Ich bin dankbar, dass dies möglich ist und hoffe noch auf viele gemeinsame Jahre. Denn eins ist sicher: Mit einem Hund an deiner Seite hast du den loyalsten Partner überhaupt und wenn du Glück hast, ersetzt er dir auch gleich mehrere Therapeuten aufs Mal!
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