Ohne Motivation ist alles nichts

Es war definitv wieder einmal Zeit für eine Pause. Auch wenn aus bekannten Umständen keine grosse kurze Reise drin lag, so hat mein Partner doch das dringende Bedürfnis nach Tapetenwechsel geäussert. Ich bin da eigentlich sehr pragmatisch, man könnte es auch als bequem bezeichnen.
Ich bin gern daheim. In den paar Tagen „off“ erhoffe ich mir jeweils Zeit und Musse Pendenzen aller Art zu erledigen, mich in aller Ruhe meinen Büchern und Texten hinzugeben oder einfach mal nichts zu tun. Eigentlich ist es die Illusion, meine Work-Life-Balance im Kurztrip auszutarieren, was ja dann eigentlich meistens doch nicht klappt. Hat wahrscheinlich mit dem inneren Schweinehund zu tun. Also mit der Motivation, mit dem limbischen System und der Volition.  Aber wie ist das eigentlich genau mit der Motivation?
In Renzullis Modell der Hochleistung ist Motivation (wird oft auch als Engagement  oder task commitment bezeichnet) einer der drei entscheidenden Kreise. Wer sich darüber informieren will, kann gern meinen Blog über die Kreativität lesen. Oder guckt hier.

Ausflug in die Psychologie

Motivation ist innerer Antrieb, ist etwas, das uns hilft, ein Ziel zu erreichen. Sie ist nicht Passives; man ist nicht einfach so motiviert, sondern es gibt einen Grund, einen Motor.
„ Das motivierte Handel des Menschen wird in seiner Grundtendenz und in seiner elementaren Struktur von zwei universellen Charakteristiken bestimmt:

  1. dem Streben nach Wirksamkeit und
  2. der Organisation von Zielengagement und Zieldistanzierung“ (Heckhausen, 2010, S.1)

Motivation ist etwas anderes als Begabung  oder das Resultat einer Leistung. Wenn Kinder in der Schule oder auch daheim nicht wollen, also nicht motiviert sind, ist dies eigentlich eine Fehleinschätzung von uns äusseren Betrachtenden. Kinder sind durchaus motiviert. Nur nicht gerade für das, was wir von ihnen wollen. Sie setzen die Prioritäten einfach anders, sie setzen ihre eigenen Ziele.
Wir wollen also etwas bewirken, so sind wir Menschen angelegt.

Nicht nur für Kinder ist es hilfreich zu wissen und zu verstehen, was sie antreibt. Die PersönlichkeitsSystemInteraktionen- Theorie nach Prof.Dr. Julius Kuhl erklärt uns unter anderem,

  • was wir warum machen
  • welches unsere persönlichen Antriebskräfte/Beweggründe sind und
  • dass diese auf genetischen Anlagen und frühen Erfahrungen beruhen.

Die vier Motive, warum wir etwas tun, sind
– Leistung (Wunsch nach Herausforderung, neuer Erfahrungen…)
Macht (Wunsch nach Wirksamkeit, Verantwortung, Durchsetzung…)
– Freiheit (Wunsch nach Selbstverwirklichung, Selbstwachstum, Unabhängigkeit…)
– Anschluss/ Beziehung (Wunsch nach Geborgenheit, Zugehörigkeit, Herzlichkeit, Austausch auf Augenhöhe.

Einer der wichtigsten Schritte für die Motivation ist Beziehung!

… und die Theorie dazu

„Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezogen sich Motivationsprobleme im Wesentlichen auf den Willensakt (Entscheidung, Wahl) und die Willenshandlung (die willentliche Steuerung des Handelns)“  (Heckhausen, 2010, S. 11).  Aus dieser doch eher rudimentären Betrachtungsweise schälten sich im Verlauf der letzten hundert Jahren fünf sog. Problemstränge heraus:

  • den willenspsychologischen
  • den instinkttheoretischen
  • den persönlichkeitstheoretischen
  • den assoziationstheoretischen, der sich in
    • eine lernpsychologische und
    • eine aktivationspsychologische Linie aufgliedert.

Wurde früher auch zwischen „intrinsischer“, also im Vollzug der Tätigkeit liegender, und „extrinsischer“, der, auf die Tätigkeit folgende Effekt liegende, Motivation unterschieden, wird heute Motivation meist als Zustand des Motiviert seins unter dem Aspekt, wie gross die Bereitschaft der Lernenden ist, sich auf Zielstellungen und Lernwege einzulassen, betrachtet.

Die Willensforschung, die Anfang des letzten Jahrhunderts eine kurze Blütezeit erfahren hat, ist in den letzten Jahren wieder am Aufleben. „Volition als die Unterstützung oder Verstärkung eines Verlangens oder Wunsches durch die Kooperation eines Antriebs, der innerhalb des Systems selbstbezogener Empfindungen ausgelöst wird…“ gewinnt in der Motivationsbetrachtung zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund entwickelte Heckhausen das sogenannte „Rubikon-Modell“, das nach der Intensionsbildung und –initiierung jenen Moment, jenen „Point of no return“ beschreibt, in dem es kein Zurück mehr gibt.

Gemäss der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan ist die Lernmotivation abhängig davon
– Wie sich Lernende als Auslösende ihres schulischen Tuns wahrnehmen
– Wie sich Lernende als Person von ihrer Lehrperson akzeptiert fühlen
– Wie häufig sie im Unterricht persönlichen Lernfortschritt (Erfolg) erkennen
– Wie viel Wert auf kooperatives Arbeiten und soziale Zugehörigkeit gelegt wird
– Wie gross ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten sind

Oben genannte Punkte steigern die Lernmotivation. Umgekehrt sinken sie
– je kontrollierender das Verhalten der Lehrperson ist
– je weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten fürs eigene Lernen vorgesehen sind
– je stärker Leistungsbeurteilung auf Wettbewerb und Konkurrenz im sozialen Vergleich aufbaut,
– je stärker sich Selektionsentscheide ausschließlich an normierten Leistungen orientieren.
(Deci/Ryan 1985, zitiert nach Müller-Oppliger 2011)

Eine Besonderheit der Selbstbestimmungstheorie ist ihre Sicht der Motivation. Dabei ist nicht die Stärke, sondern die Qualität bzw. Art der Motivation entscheidend. Es wird unterschieden zwischen
– Amotivation: keine Motivation vorhanden
– Extrinsische Motivation: von aussen reguliert
– Intrinsischer Motivation: von innen heraus reguliert
Die klassische Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation wird jedoch zugunsten der Annahme eines Kontinuums aufgegeben.
Es gibt demnach keine Motivation ohne „Volition“, ohne die Absicht Barrieren zu überwinden und Handlungsprozesse durchzustehen.

… und jetzt mal Konkret

Wie also kommen wir „ins Tun“

An erster Stelle steht da ein bestimmtes Bedürfnis (vielleicht nach einem aufgeräumten Schreibtisch?)! Das Bedürfnis kann unter Umständen auch schon längere Zeit im Unterbewusstsein geschlummert haben.
Unter Umständen kriege ich ja gerade noch Besuch, der sich seinen Teil zu meinem Chaos denken würde oder ich finde einen Steuerbeleg nicht mehr? Das wäre dann ein klares Motiv. (Oder etwa nicht?)
Das bringt mich dann in die Gänge. Tada!!! Da ist sie: die Handlung.

In der täglichen Unterrichtsbeobachtung lässt sich aber unschwer feststellen, dass nicht nur die Persönlichkeitsstruktur und die individuelle Disposition Einfluss auf die Motivation haben, sondern dass auch die Situation eine massgebliche Rolle darin spielt. Je nach nach Anreiz, sei dies nun das Tun selbst, das erwartete Ergebnis oder Folgen daraus, verändert sie sich entsprechend. 
Bei einer hohen Situations-Ergebnis-Erwartung, wenn also die Situation auch ohne Handeln zum Ergebnis führt, ist der Handlungsanreiz entsprechend gering.

Bei tiefer Situations-Ergebnis-Erwartung jedoch ist der Handlungsanreiz hoch, vor allem wenn zusätzlich hohe Ergebnis-Folge-Erwartungen bestehen.  Konkret heisst das also, dass ein optimales Anspruchsniveau vorhanden sein sollte: Ein bisschen herausfordernder als die vorausgegangende, aber mit einer Portion Anstrengungsbereitschaft erreichbar. Dass dies im Klassenalltag eine hohe Herausforderung an die Individualisierungskünste der Lehrperson stellt, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt. Allerdings lohnt sich dieser Einsatz in der Unterrichtsvorbereitung:  Während in der Phase der Lösungssuche Dopamine ausgeschüttet werden, die zur Ausschüttung von gehirneigenen Opiaten führen, sind es schliesslich die Endorphine, die (in dem Fall das kindliche) Gehirn überfluten und einen eigentlichen Glücksrausch produzieren, weil sich nach der Anstrengung der erhoffte Erfolg einstellt. Und dieser Glücksrausch schreit nach weiteren Highlights- was nichts anderes heisst, dass die Motivation zu arbeiten steigt.

Nun ist es aber gerade bei cleveren, vielleicht hochbegabten Kids so, dass sie sich ja meist wenig anstrengen müssen, um die Aufgaben ihres Klassenniveaus zu lösen. Was also passiert? Es fehlen die Zufriedenheit und Freude, die zu weiterer Motivation führen. Und so kommt eins zum anderen: Irgendwann fehlen Grundlagen, stoffliche und lerntechnische, die neben der „erlernten Hilflosigkeit“ das weitere Lernen massiv erschweren können.

Im Unterricht nicht nur mit begabten Kindern ist immer wieder feststellbar, wie eng verknüpft die Selbsteinschätzung, das Vergleichen zwischen den eigenen Fähigkeiten und der Zielsetzung, mit der Volition sind. Muss zum vorneherein schon mit dem Scheitern gerechnet werden, ist nachvollziehbarerweise auch die Motivation wesentlich kleiner, als wenn mit Erfolg gerechnet werden darf.
Immer wieder erkennbar ist, wie gross das Bedürfnis der Kinder ist, Teil der Gruppe zu sein. Das Gefühl, „dazu zu gehören“ wird hier, vor allem auch für schwächere Lernende zum starken Antrieb. In diesem Fall wird von einer „Anschluss-Motivation“ gesprochen.

Generell lässt sich sagen, das hochbegabte Kinder eine höhere selbstbestimmte Leistungsmotivation haben als durchschnittlich begabte. Ihre angeborene Neugierde und ihr Explorationsbedürfnis lassen sie enormen Einsatz und „Zähigkeit“ an den Tag legen. Dies lässt sich auch bei hochbegabten Erwachsenen feststellen. Es geht nicht um Macht- oder Imponiergehabe sondern um Sinn und Inhalt. Da dieses Forschen „um des Forschens Willen“ vielen kleinen und grossen Menschen fremd ist, kann es oft zu Missverständnissen, Anschuldigungen wie Strebertum oder Ehrgeizbesessenheit kommen, was sich dann natürlich auf das Anknüpfen von sozialer Beziehungen sehr erschwerend auswirkt.

Auf das schulische Umfeld übertragen heisst das, dass alle Kinder möglichst viele Möglichkeiten, selbstbestimmt zu lernen und gleichzeitig durch ihre Bezugspersonen und ihre Peers Feedback und Unterstützung zu erhalten, bekommen sollten. Wir Menschen sind als sozial angelegte Wesen darauf angewiesen, in all unseren Bemühungen gesehen, unterstützt, gelobt, ermutigt zu werden.

Ich stelle auch immer wieder fest, wie die Kraft der Rückmeldungen unterschätzt wird. Diese müssen authentisch und ehrlich formuliert sein- Kinder haben sensible Antennen dafür. Genau so wie sich inflationäres Gewohnheitslob abnützt, wie ein alter, ausgelutschter Bazooka-Kaugummi fad wird und Fäden zieht, die nur noch eklig klebrig sind, führt ausbleibendes Feedback zur Einstellung von Leistungen und Anstrengung. Wir als Erwachsene sind hier gefordert, den Grat der Echtheit zu begehen. Dabei ist es wichtig, auch an die nonverbale Kommunikation zu denken- wenn unsere Augen etwas anderes sagen, als der Mund ausspricht, wirken wir unglaubwürdig und unser Gegenüber, sei es noch so jung, wird den Unterschied bemerken und verunsichert werden.

Kausalattributation

oder auf gut Deutsch „Ursachenzuschreibung“ ist ein ganz wesentlicher Faktor bei der Aufrechterhaltung von Motivation und positivem Leistungsverhalten. Fühlt man sich einer Situation ausgeliefert oder ist man handlungsfähig? Nehmen wir als Beispiel den Klassiker: Eine verhauene Klassenarbeit.

Begründet das Kind (oder wahlweise der Erwachsene) seine Leistung mit stabil-internalen Faktoren wie
– Ich kann da nichts dafür
– Ich bin eben so
– Ich bin halt hochbegabt und ihr müsst mich besser fördern
wird es sich kaum weiter anstrengen, weil die Situation eben so ist, und nichts zu ändern ist.

Geht die Einstellung in die Richtung von
– Mein Lehrer hat keine Ahnung
– Meine Mitschüler sind langweilig
sind diese stabil-externale Erklärungen die Gründe, weshalb sich alle andern ändern müssen, allenfalls auch die äusseren Umstände, damit sich die Situation verbessert.

Variabel-externale Haltung zeigt sich in Äusserungen wie
– Reine Glückssache
– Die Fragen waren einfach
– Die Lehrerin war grosszügig
Das Kind ist auf Gedeih und Verderben den äusseren Umständen ausgeliefert und kann nichts zum Gelingen seines Tuns beitragen. Es wird darin immer eine Ausrede für schlechtes Abschneiden finden.

Eine intern-variable Begründung liefert das Kind, wenn es sagt
– Ich habe einfach zu wenig gelernt
– Wenn ich richtig übe, schaffe ich das auch.
Hier fühlt sich das Kind für seine Leistung verantwortlich und weiss, dass es sie durch sein Verhalten beeinflussen kann. Es ist nicht Opfer der Umstände und kann mit seinen Herausforderungen fertig werden.

Die Art, wie wir die Ursachen von Erfolgen und Misserfolgen einschätzen, haben grosse Auswirkungen auf unser Selbstwertgefühl und Selbstkonzept. Das Selbstwertgefühl wird geschützt, wenn man Erfolge sich selber zuschreiben und und Misserfolge auf äussere Umstände abwälzen kann. Umgekehrt wird aber oft davon ausgegangen, dass Erfolg äusseren Umständen, Misserfolg jedoch sich selber zugeschrieben werden kann. Dies wirkt sich dann ungünstig auf das Selbstwertgefühl aus, bei steter Wiederholung entwickelt sich eine pessimistische Sichtweise, die langfristig prägend auf die Lust etwas zu lernen, generell etwas in Angriff zu nehmen, auswirken kann.

Was nun tun?

Wie erreichen wir als Eltern oder Bezugspersonen nun, dass die uns anvertrauten Kinder dazu befühigt werden, Ausdauer, Stehaufmännchen-Qualitäten oder dauerhafte Anstrengungsbereitschaft zu zeigen? Diese Art Selbstmotivationsfaktor ist nämlich grundlegend entscheidend für langfristen schulischen oder beruflichen Erfolg.

Genie besteht zu einem Prozent aus Inspiration
und zu 99% aus Transpiration
„.

Der Satz stammt von Thomas Edison und ist eines meiner Lieblingszitate
aus dem Buch “Design oder nicht sein” von David Carlson. Er passt so gut in diesen Kontext, weil es eben darum geht, trotz Hindernissen und Herausforderungen nicht aufzugeben.

Erziehende sollten den Faktor „Transpiration“, also Anstrengung als matchentscheidend deklarieren! Dies kann getan werden, indem

  • nicht jeder Wunsch sofort erfüllt wird. Warten und Frustration aushalten stärken Selbstvertrauen und intrinsische Motivation.
  • offene Aufgabenstellungen und selbstbestimmtes Lernen ins Zentrum gerückt werden
  • vielfältige Angebote bereitgestellt werden, damit Kinder ihre Interessen herausfinden können
  • weniger die Intelligenz oder die Begabung in den Fokus gerückt werden als das Bemühen
  • Intelligenz und Begabung nicht als feste, angeborene sondern als dynamische, trainierbare Grössen dargestellt werden
  • vorgelebt wird, dass auch Erwachsene unter herausfordernden Bedingungen selbständig steuern und Verantwortung übernehmen können.

Selbstverständlich können all diese Punkte auch bei Erwachsenen zum Erfolg führen. Und besser noch: Als Erwachsene sind wir rein theoretisch auch dazu fähig uns mit diesen Punkten auch selbst zu coachen. Also los!

Wer sich jetzt fragt, was diese ganzen Ausführungen zur Motivation mit der eingangs beschriebenen Situation meiner Osterpause, dem Tapetenwechsel und den häuslichen Pendenzen zu tun hat, beweist, dass die Fähigkeit, die roten Fäden in der Hand zu halten, gut ausgeprägt ist.
Ja, es hatte tatsächlich etwas mit Motivation zu tun. Die habe ich irgendwo auf der Süd-Nord Route wiedergefunden. Aber dazu brauchte es erstmal eine Pause.

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