Heute Morgen hatte ich einen Anruf von einer Mutter eines Jungen, den ich vor einigen Jahren abgeklärt habe. Sie klang absolut verzweifelt, als sie sagte: „Jetzt in den Ferien hängt unser Sohn nur depressiv ab. Er hat in der nähern Umgebung unserer Wohnung überhaupt keine Freunde. Und jetzt, wo die Hormone anfangen zu tanzen (der Junge ist 12), ist es eh schwierig mit ihm. Er kann doch nicht die ganze Zeit nur im abgedunkelten Zimmer sitzen und gamen!“
Irgendwie anders
Die Frage nach dem eigenen Sein und der Zugehörigkeit stellt sich nicht nur bei hochbegabten Kindern in diesem Alter zunehmend. Viele Kinder und Jugendliche mit hohem Potenzial sind sich zumindest ansatzweise bewusst, dass sie anders ticken als ihre Mitschüler.
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als mir mein Ältester berichtet hat, wie die Kindergärtnerin das Buch vom „Irgendwie anders“ erzählt hat. Als er fertig war, hat er mich ganz ernst angeschaut und angemerkt: „Gell, Mamma, ich bin auch ein „Irgendwie anders“?!“ Den Kloss in meinem Hals spüre ich heute noch. Es hat mich bedrückt, dass der 5-jährige dies so klar wahrgenommen hat. Da war aber irgendwo auch ein Fünkchen Stolz, dass er das so klar spüren und formulieren konnte. Meine genaue Antwort weiss ich nicht mehr genau. Aber sie ging bestimmt in die Richtung, dass wir doch alle „irgendwie anders“ sind und Vielfalt das Zusammenleben bereichert.
Peerbeziehungen
Ich stelle fest, dass die Fragen: „Wer bin ich und wo gehöre ich hin?“ bei hochbegabten Kindern schon viel früher auftauchen als bei anderen. Das hängt einerseits mit ihrer hohen Denk- und Reflexionsfähigkeit zusammen, andererseits aber auch damit, dass sie sich schon früh mit Klischees und Vorurteilen über Hochbegabung auseinandersetzen müssen. Darum sind Peerbeziehungen so wichtig!
Viele hochbegabte Kinder treffen erst in Förderprogrammen, Gymnasien oder gar an der Uni zum ersten Mal Gleichgesinnte, mit denen sie Freundschaften eingehen wollen. Deshalb finde ich es auch wichtig, dass Eltern, die sehen, dass ihre Kinder einsam sind, sich einem unterstützenden Verein wie „Eltern hochbegabter Kinder“ oder der „Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind“ anschliessen. Dort findet der Austausch auch auf der Ebene der Kinder statt.
Und es ist übrigens wissenschaftlich erwiesen (Rost, 1988, Hochbegabte und ihre Peers), dass hochbegabte Kinder mindestens genauso sozial kompetent sind wie alle anderen. Dieses Forschungsergebnis deckt sich absolut mit meinen Beobachtungen und Erfahrungen der letzten >20 Jahre. Lass dir also bitte nichts einreden!
Ungünstige Peerbeziehungen
Es kann natürlich auch passieren, dass Kinder Freundschaften eingehen, die dir als Elternteil nicht gefallen. Manchmal verstecken dann Kinder ihre Begabungen vorübergehend und passen ihr Verhalten den anderen Gruppenmitgliedern an. Dies ist völlig normales Teenager-Gebaren: Es geht darum, dazuzugehören, sich als Teil einer Gruppe zu erleben. Ohne diese Fähigkeit zur Anpassung hätte die Menschheit nicht überlebt. Auch wenn du als Elternteil diese Situation nicht gutheisst, empfehle ich dir, dich mit abfälligen Bemerkungen zurückzuhalten. Versuche, mit deinem Kind im Gespräch zu bleiben und den Kontakt nicht zu verlieren. Meistens spüren Kinder nach einer Weile, dass ihnen diese Freundschaften nicht das geben, was sie sich erhofften und ziehen sich von selbst aus diesen Kreisen zurück.
Unsere Kinder verdienen unser Vertrauen und ich für mich kann sagen, dass ich mit dieser Strategie immer sehr gut gefahren bin.
Gut hinschauen
Der Mutter, die mich angerufen hat, habe ich erst einmal zugehört und ihre Antworten gespiegelt. Im Verlauf des Gesprächs haben wir dann festgestellt, dass ihr Sohn gar nicht „nur“ und „immer“ in seinem Zimmer sitzt, sondern durchaus auch mal beim Kochen mithilft oder mit der jüngeren Schwester ein Brettspiel macht.
Dass sich die Mutter Gedanken um die soziale Integration ihres Sohnes macht, kann ich gut nachvollziehen. Ich weiss aber auch, dass es Kinder gibt, die diese in weit geringerem Masse brauchen als andere. Dies gilt es zu akzeptieren, auch wenn wir es uns anders wünschen.
Strategien im Umgang mit ungünstigen Freundschaften
Zum Abschluss habe ich ihr ein paar Inputs mitgegeben, die mir wichtig scheinen.
- Sei präsent, wenn du ein Gespräch mit deinem Kind führst
- Akzeptiere seine Gefühle
- Stell sein Verhalten infrage, aber nicht sein Wesen
- Formuliere deine eigenen Gefühle in „ICH-Botschaften“
- Führe „together“-Zeit nur zu zweit ein
- Bleib verschwiegen, wenn dir dein Kind etwas anvertraut
- Schweigen ist auch eine Form von Kommunikation („Man kann nicht nicht kommunizieren!)
- Kommuniziere durch Berührung
Nicht zuletzt:
- Denk an deine eigene Kinder- und Jugendzeit zurück
Macht dir das Verhalten deines hochbegabten Kindes Sorgen? Isoliert es sich? Findet es keine Freunde? Ich unterstütze dich gern!
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