Glockenkurve

Mindfuck: Nur ab IQ 130 ist Hochleistung möglich

Als vor ein paar Wochen Felix mit seinen zu mir in die Beratung kam, brachten seine Eltern eine Testung mit, die seinen IQ auf 125 (mit einem Vertrauensintervall von 119 -131) auswies. Ein cleveres Kind also. Das Problem bestand darin, dass die Lehrpersonen der Ansicht waren, dass Felix demnach nicht hochbegabt sein und spezielle Förderung demnach nicht angezeigt.

Die magischen 130 IQ-Punkte

Die wissenschaftliche Intelligenzforschung hat 130 IQ-Punkte als Grenzwert für Hochbegabung festgelegt. Diesem Wert unterliegt die sogenannte Gauss’sche Glockenkurve zur Normalverteilung. Im Fall der Intelligenz heisst dies, dass auf der x- Achse (dem „Boden“) der Peak bei 100 IQ-Punkten liegt. Wer einen IQ-Wert von unter 85 IQ-Punkten aufweist, wird als unterdurchschnittlich intelligent bezeichnet, wer zwischen 85 und 115 erreicht, gilt als von einer durchschnittlich intelligent und wer über 115 erzielt, besitzt eine überdurchschnittliche Intelligenz. Menschen mit einem IQ-Wert von über 130 werden als hochbegabt bezeichnet.

Jeweils 34.1% der Bevölkerung liegen 15 IQ-Punkte unter oder ober dem 100-er Peak und gelten damit als normal begabt. Jeweils 13.6 % liegen in einem unter- resp. überdurchschnittlichen Bereich und je 2.1.% sind minder- oder hochbegabt. 0.1% prägen diese Extreme sogar noch aus.

Gauss’sche Glockenkurve
(Quelle: www.intelligenztest-muenchen.de)

Nur 2% gelten als hochbegabt

Von 100 Kindern erreichen bloss zwei einen Wert von über 130 IQ-Punkten. Allerdings liegen fast 14 dieser 100 Kinder in einem Bereich, der ihnen überdurchschnittliche Intelligenz zuschreibt. Und wenn wir davon ausgehen, dass keine Testung der Welt eine absolut gültige Punktzahl eruieren kann und ein Resultat immer von vielen Faktoren abhängt, ist es sehr fragwürdig, Fördermassnahmen an einem IQ-Wert festzumachen.

Hochbegabt heisst nicht hochleistend

Die Krux an dieser 130er-Marke scheint mir, dass auch Kinder mit hohem Potenzial nicht immer in der Situation sind, die sie dazu motiviert, ihre Fähigkeiten auszuschöpfen. Je nachdem, wie tief ihre Motivation aufgrund ungünstiger Umstände gesunken ist, spricht man in dem Fall von „Minderleistern“ (underachievern). Allerdings gibt es auch Kinder, die trotz tieferem Potenzial sehr gute Leistungen bringen. Oft geht dies mit einer exzellenten Arbeitshaltung einher – leider manchmal auch mit einem sehr fordernden Elternhaus. Je nach Konstellation können diese „Überleister“ (overachiever) massive emotionale Probleme bekommen.

Kein Test testet Hochleistung

Wenn der eingangs erwähnte Felix an den Tagen der Testung nervös oder erkältet war, wenn ihn die Diagnostikerin an die nörgelnde Tante Paula erinnert hat oder sonst ungünstige Faktoren mitspielten, dann bildet das Resultat mit grosser Wahrscheinlichkeit nur einen Teil seiner Fähigkeiten ab. Diagnostik ist so viel mehr als eine blosse IQ-Evaluation! Und doch schauen sich die meisten Leute nur dieses Ergebnis an…

Wozu Kinder fähig sind

Sobald wir Kindern die Möglichkeit geben, frei zu lernen, ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechend die Welt zu entdecken, werden wir staunend feststellen, welche Potenziale in ihnen stecken. Deshalb sind auch Haltungen, wie sie Felix‘ Lehrpersonen an den Tag legen, aufgrund unserer aktuellen Erkenntnisse nicht mehr zu akzeptieren. Es braucht auch in der öffentlichen Schule die Haltung einer Förderung auf Verdacht, die es ermöglicht, dass Kinder Möglichkeiten bekommen, ihre Talente zu entfalten. Schon oft sind wir ins Staunen gekommen, was dann möglich wird.
Um zu klären: Ich bin voll dafür, dass Kinder Basics wie Grundrechenarten, Lesen und fehlerminimiertes Schreiben lernen! (Und dass wir unterdessen Bewerbungen auf Lehrerstellen erhalten, die mit Ortografiefehlern garniert sind, geht gar nicht!). Aber ich denke, dass wir diese Skills nicht als Voraussetzung einfordern sollten, um Kinder an Inhalten lernen zu lassen, die sie wirklich, wirklich interessieren.
Was glaubst du, welche Fähigkeiten es braucht, das Bild von Spongebog aua 110 Zauberwürfeln herzustellen?

Spongebob aus Zauberwürfeln

Förderung auf Verdacht

Ich glaube, ich habe es an anderer Stelle schon erwähnt: Wir wissen schlicht nicht, wer die nächste Madame Curie oder der nächste Albert Einstein sein wird. Wir wissen nicht, welche Fähigkeiten diese Menschen mitbringen müssen, um die anstehenden und zukünftigen Probleme der Menschheit zu lösen. Von dem her können wir es uns gar nicht leisten, die Potenziale von Felix und seinen Kolleg:innen brachliegen zu lassen!
Wenn ein Erstklässler bereits zu Zahlenmauern wie der untenstehenden fähig ist, in welchem Bereich wird er in einem Jahr rechnen?

Zahlenmauer

Konkrete Empfehlungen

Es ist absolut falsch, wenn man glaubt, nur hochbegabte Kinder wären zu hohen Fähigkeiten fähig! Zudem sinkt das Niveau der öffentlichen Schulen trotz (oder wegen) dem breiten Fächerangebot kontinuierlich, sodass Kinder mit Potenzialen umso mehr Förderung brauchen, damit ihre Fähigkeiten nicht verkümmern.

Felix‘ Lehrpersonen würde ich im Gespräch folgende Basis-Hinweise geben:

Feinheiten müssten selbstverständlich individuell angeschaut werden. Vielleicht läge die Lösung sogar in einem Klassensprung? Dafür muss man nämlich nicht zwingend hochgegabt sein – dazu braucht es andere Voraussetzungen.

Ein Gedanke zu „Mindfuck: Nur ab IQ 130 ist Hochleistung möglich

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